"Einfach Kunst" macht die Ausstellungen greifbar und gibt schnelle und spannende Einblicke in die jeweiligen Werke.

Press Preview
Mittwoch,12. März 2025, 10:30 Uhr
Eröffnung
Donnerstag, 13. März 2025, 19 Uhr
Künstlerinnengespräch
Freitag, 14. März 2025, 14 Uhr
After-Work-Tour
8. Mai und 5. Juni 2025
donnerstags um 18 Uhr
Ausstellungsdauer
14. März – 9. Juni 2025
Di – So, 10-18 Uhr
Sophie Hirsch lädt im Kunstraum Dornbirn zu einer Begegnung mit uns selbst ein. Ob es ein spielerisches Erkunden oder eine konfrontative Gegenüberstellung wird, bleibt uns überlassen. Beim Eintreten in die historische Montagehalle blicken wir direkt in unser Innerstes. Von circa sechs Meter Höhe hängt ein riesiges plastisches Bild aus zwei Teilen. Dem ersten Eindruck nach schauen wir in verklebte Faszien oder von Fett durchzogenes Fleisch in Großaufnahme: Cremefarbenes, glänzendes Silikon, von Hand geformt, parasitär verbunden mit einem satt roten Stoff, jeweils drei auf vier Meter. Die Schichten sind punktuell durchstoßen von Ösen, welche stählernen Rundketten und Zugfedern den Weg bahnen. Die schwer hängenden Fetzen sind darüber im Boden verankert und werden angebunden und verzurrt an dem haltenden Gerüst. Der erste Eindruck ist gewaltsam und faszinierend zugleich: Es entfaltet sich eine intime Bandbreite an Emotionen von schockierend und brutal, wunderschön und abstoßend, unwiderstehlich und anziehend.
Diese komplexe Ambivalenz dominiert den Eintritt in „Child’s Play“. Der Titel ist eine semantische Setzung, welche die individuelle Ambivalenzerfahrung verstärkt. „Ein Kinderspiel“ ist der Redewendung nach etwas, das uns sehr leichtfällt und gleichzeitig der Gegenentwurf zum „Ernst des Lebens“. Das kindliche Spiel ist ein schützenswerter, nahezu fiktionaler Raum. Aber woanders, als im „Ernst des Lebens“ können wir uns angesichts der aufgehängten Fleischlichkeit von Hirschs opulenter objekthafter Malerei befinden? Wenn Themen wie Fetisch, Leidenschaft, Verletzlichkeit oder Gewalt, besonders gerichtet gegen weibliche oder von der Norm abweichende Körper, aufgerufen werden? Zur Überwindung der Brutalität, welche sich durch die heraufbeschworenen Gedankenspiele und Bilder zuallererst zeigt, hilft uns die faszinierende Ästhetik der Objekte. Die glänzende Oberfläche des Silikons hat einen derart intensiven taktilen Reiz, dass es schwerfällt, dem zu widerstehen. Es zieht uns unweigerlich an und überwindet in Anlehnung an die arglose Unerschrockenheit des erforschen und begreifen/greifen Wollens den ersten Schockmoment des kulturell geprägten Erkennens. Hier wird das Sinnliche erfolgreich zum Mittel der Erfahrung und Wissensbildung etabliert, innerhalb dessen Hirsch die Distanz zwischen uns und der Kunst aushebelt.
Die Installation ist in diesem Sinne als Versuchsanordnung konzipiert, die einen wichtigen Schritt in der künstlerischen Entwicklung markiert. Als Ausgangspunkt dienen Hirsch die spezifischen Bedingungen der Architektur. Die Künstlerin entwickelt die Themen ihrer Arbeit erstmalig jenseits der Größe von Wandarbeiten, möbelartigen Objekten oder Installationen, die physisch von einer Person handhabbar sind. Neben den harten Faktoren, wie Abmessungen und Fensterreihungen, ist die Geschichte der ehemaligen Montagehalle und die Verbindung zur gegenüberliegenden „inatura“, einem interaktiven naturkundlichen Museum, für Hirsch von Bedeutung. Es kommt zu einem Zusammenspiel von Ort, Raum, Publikumsstruktur und künstlerischer Installation. Dabei gibt es Anlehnungen an Spielplatzgestaltung mit Gerüsten und Wegigkeiten, welche Möglichkeiten zum Entdecken vorgeben. Die gesamte Komposition mit den einzelnen Materialien, wie Faszienrollen oder Zugfedern, und den Balanceübungen aus Zug und Druck im Gerüstbau oder den austarierten Aufhängungen, erzählt von Bewegung bei gleichzeitiger Bewegungslosigkeit.
„Child’s Play“ besteht aus drei Gerüstkomplexen, welche in der Systematik ihrer modularen Teile gleich sind, jedoch zu unterschiedlichen Konstruktionen entwickelt werden. Das Gerüst breitet sich in den Raum aus und gibt im Seitenarm an Ketten hängenden, kleineren Silikonarbeiten einen Rahmen. Weiter hinten steht ein niedrigeres Gebilde, das seriell einen Rahmen aus Gerüststangen wiederholt. Durch die oben horizontal verlaufenden Stangen ist jeweils eine Rundstahlkette gezogen, an deren Enden kleine Massagebälle hängen. Diese leichten Bälle sind mit einem brutalen Eingriff zur Verankerung der stählernen Ringschrauben versehen, an denen sie die Ketten in Balance zu halten scheinen, sodass sie nicht durch das Rohr rutschen. In der hinteren Ecke des Raums ragt eine Konstruktion auf, welche die Form einer Tribüne in Erinnerung ruft. Am höchsten Punkt reicht sie sieben Meter in die Höhe und ist bei einer Breite von circa 3,6 Meter und einer Länge von knapp fünf Meter raumeinnehmend. Ihre Stangen, welche wie Stufen wirken, sind mit einer Vielzahl roter Faszienrollen überzogen.
Die Gerüstteile sind industrielle Produkte, welche durch ihre graue Farbigkeit und die Abmessungen in dem monumentalen Raum fragil wirken und gleichzeitig einen eigenen Körper entwickeln. Sie sind Raumskizzen, die als Gerüst und Halterung dienen, ihre ursprüngliche Funktion also sehr wohl noch zur Schau stellen. Ihre Rolle changiert zwischen Ausstellungsdisplay und ausgestelltem Werk selbst. Sie sind integraler Bestandteil einer Installation auf Zeit, denn nach Ende der Ausstellung werden die Verbindungselemente ihrem ursprünglichen Nutzen zum Gerüstbau wieder zugeführt und aus dem zur Kunst erhobenen Materialfundus ausgeschlossen.
Das Gerüst als skulpturales Material hat in Hirschs Arbeit seit Langem einen festen Platz. Ein Beispiel sind die Werke der Ausstellung „Structural Integration“ in der 83 Pitt Street, New York City (2017). Hier schafft die Künstlerin eine fragile Balance in Gerüsten mit Zugfedern, welche von Betonstücken gespannt gehalten werden. Der Titel zitiert die in den 1950er Jahren entwickelte Methode der „Strukturellen Integration“, welche durch Faszienbehandlung und Schulung von Bewegungsabläufen die Körperstruktur zugunsten beschwerdefreien Bewegens optimieren soll. Auch die von Joseph Pilates entwickelten Übungsgeräte wie der „Chair“ oder der „Reformer“ (1920er Jahre) finden bei Hirsch konkret Eingang in das Austarieren skulpturaler Bausteine, damals wie heute. Für die Künstlerin halten die Lehren von Pilates ein diskursives Feld der physischen Stärkung bereit, welches das Thema der Ausgeglichenheit durch Dehnung und Kräftigung metaphorisch auffächert.
Den Methoden gemein ist außerdem, dass sie einen allumfassenden Anspruch erheben, indem seelisches Wohlbefinden und Harmonie Teil des physischen Trainings sind – nichts weniger als das griechische Konzept Paideia zur ganzheitlichen Entwicklung des Menschen steht hier gedanklich Pate. Über 50 Jahre nach Pilates Tod ist die anhaltende Begeisterung für seine Methode eng verknüpft mit der heutigen Dauerverfügbarkeit des Menschen, der Suche nach stabilen Work-Life-Balances, der ständigen Zurschaustellung und Beurteilung des eigenen Handelns und Aussehens – nicht nur rund um die Uhr in sozialen Medien, sondern auch (und immer noch) in systematisch diskriminierenden patriarchal-kapitalistischen Strukturen und Prekariaten. Der Druck auf das Individuum in einer vereinzelten Gesellschaft steigt stetig und ganzheitliche Methoden und Achtsamkeits-Trainings werden zu einem nie dagewesenen globalen Trend mit Heilsversprechen. Das zahlt massiv auf die systemische Erschöpfung vieler gesellschaftlicher Gruppen ein (was ironischerweise natürlich dem Anspruch der Methoden zuwiderläuft). Jede:r kann mit YouTube zu Hause „praktizieren“, wer das nicht hinbekommt, ist doch dann auch selbst schuld, oder nicht? Das eherne, unerreichbare Ziel ist das griechische Ideal: Der Einklang zwischen Körper und Geist – das ist doch wohl heutzutage ein Kinderspiel!
Hirsch seziert dieses Verhältnis von Psyche und Physis auf eine Art, welche die inneren Dissonanzen des Menschseins als systemisch und kulturell bedingt, der Sozialisation entsprungen und vor allem fluid herausstellt. Sie sucht nach einem Weg der radikalen Akzeptanz, um ebendiese Unterschiedlichkeiten und Ambivalenzen zu integrieren. In ihren hochästhetischen Gebilden zitiert sie Funktionsmechanismen von Selbstfürsorge und Körpererfahrung. Faszienrollen und Massagebälle gebraucht Hirsch in ihren möbelartigen Skulpturen als das, was sie sind, nämlich Hilfsmittel zum Entspannen der Muskulatur und zum Lösen von Verklebungen im faszialen Gewebe, welches Muskeln, Organe und Nerven umgibt. Die Verwendung einer Faszienrolle kann ein schmerzhafter Vorgang sein, dem sich bewusst und wiederholt ausgesetzt wird, um eine Verbesserung zu erreichen. Er könnte als eine Metapher auf das Leben gelesen werden. Hirschs Silikonarbeiten scheinen von solch schmerzhaften Erfahrungen nicht weit entfernt, denn der erste Anblick kann schockieren. Der schönste Moment steckt in der Überwindung dieses kurzen Schocks: wenn das, was uns im Inneren zusammenhält, auf den zweiten Blick wunderschön, sinnlich und begehrenswert wird – und wir diese Neugierde und Emotionen zulassen können.
Faszienrolle und Massagebälle sind in „Child’s Play“ ihrer ursprünglichen Funktion sowie jener in den vorangehenden „Gebrauchsskulpturen“ beraubt, da sie in den Gerüstkonstruktionen gar nicht mehr benutzbar sind. Als dekorative Elemente mit Zitatfunktion werden sie Sinnbilder, konterkariert von der Fleischlichkeit der Silikonarbeiten. Das Silikon funktioniert durch die Abformung einer Fläche aus Gips als Speicher für die Körperspuren der Künstlerin. Die dabei entstehenden Strukturen sind uns so unheimlich vertraut, denn sie spiegeln das, was uns physisch zusammenhält. Zwischen den Geräten, Elementen und Gerüsten ist die Repräsentation unserer selbst formal und inhaltlich in diesen Werken angelegt.
Fleisch und Blut sind, auch als Nachahmung, seit langem feste Bestandteile verschiedener Erzählungen der Kunst, gender- und medienübergreifend. Gleichzeitig sind sie immer noch mit Tabus belegt, die regelmäßig hinterfragt, gebrochen und neu ausgelotet werden, vermehrt von weiblich gelesenen Positionen seit den 1970er Jahren. Hirschs Arbeiten mit rotem Stoff und Silikon erinnern an Fleisch, Fasziengewebe und Blut, ohne eine Imitation zu sein. Sie sind etwas Eigenes. Dennoch wird damit das gesamte Referenzspektrum erzählerisch verarbeitet und fühlbar gemacht: Blut als universeller Lebensstoff, als Inbegriff der lebendigen Physis, des unberührbaren Inneren. Durch das Changieren zwischen künstlich und organisch ruft Hirsch die Faszination des Authentischen auf und untermauert das Erleben mit existenziellen Möglichkeitsräumen, die als Rückkopplung in unsere Realität greifen.
Kurzbiografie Sophie Hirsch wurde 1986 in Wien geboren, wo sie heute lebt und arbeitet. Sie studierte 2006-2011 „Skulptur und Multimedia“ an der Universität für angewandte Kunst in Wien und 2004-2006 an der School of the Art Institute of Chicago mit dem Schwerpunkt Fotografie und Skulptur.
Für Collector’s Agenda sprach Sophie Hirsch mit Livia Klein unter anderem über ihre anstehenden Projekte und gibt Einblick in ihr Wiener Studio: https://www.collectorsagenda.com/de/in-the-studio/sophie-hirsch
[…] Livia Klein: „Was sind deine nächsten Projekte?“
Sophie Hirsch: „Mein nächstes Projekt ist eine Ausstellung im Kunstraum Dornbirn, die von März bis Juni 2025 zu sehen sein wird. Ich arbeite die letzten Monate daran.“
LK: „Welche Herausforderungen gab es bei der Arbeit an diesem Projekt?“
SH: „Die größte Herausforderung in Dornbirn ist der Raum selbst—er ist so beeindruckend, dass er fast keine Kunst mehr braucht. Mit seiner kirchenartigen, industriellen Basilika-Atmosphäre war meine erste Aufgabe, einen Dialog mit dem Raum zu entwickeln, ohne mit ihm in Konkurrenz zu treten oder von seiner Präsenz verschluckt zu werden. Eine weitere Herausforderung war der Maßstab des Projekts. In dieser Größenordnung habe ich noch nie gearbeitet. Ich wusste, dass ich freistehende Strukturen bauen wollte, die unabhängig von den Wänden oder der Decke funktionieren und ein geschlossenes System schaffen. Das größte Problem war also, die statischen Herausforderungen vorherzusehen, besonders, weil das Silikon ziemlich schwer ist. Die Besucher:innen werden durch und unter den Strukturen hindurchgehen, daher ist es natürlich sehr wichtig, dass alles sicher ist. Es ist ein bisschen nervenaufreibend, weil ich die Arbeit erst richtig sehen werde, wenn sie vor Ort installiert ist.“ […]
"Einfach Kunst" macht die Ausstellungen greifbar und gibt schnelle und spannende Einblicke in die jeweiligen Werke.
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