Judith Fegerl
on/
Pressegespräch
Mittwoch, 22. Februar 2023, 10:30 Uhr
Eröffnung
Donnerstag, 23. Februar, 19 Uhr
Künstlerinnengespräch
Freitag, 24. Februar 2023, 14 Uhr (Eintritt frei)
Ausstellungsdauer
24. Februar bis 18. Juni 2023
täglich 10 bis 18 Uhr
After-Work-Tours
donnerstags um 18 Uhr am 23. März, 4. Mai und 15. Juni 2023 (Eintritt frei)
Die Ausstellung „on/“ der österreichischen Künstlerin Judith Fegerl ist mit dem Kunstraum Dornbirn symbiotisch verschmolzen und schaltet ihn ein. Strom fliesst. Für Fegerls Arbeiten kommt der Strom jedoch nicht wie gewohnt aus der Steckdose, sondern von einem eigens für die Ausstellung konzipierten und installierten Solarkraftwerk an der Südseite des Ausstellungsraums – eine geschichtsträchtige Referenz, wurden doch in der ehemaligen Montagehalle, welche die Rüsch-Werke 1893 erbauten, Turbinen für die ersten Wasserkraftwerke gebaut.
Mit der Umwidmung der rohen Industriearchitektur von einer Produktionsstätte in einen Raum zur Präsentation Bildender Kunst wurde nicht nur eine einzigartige Ausstellungssituation geschaffen, die ortsspezifische Kunstproduktion besonders reizvoll macht. Der Betrieb ist seit jeher den witterungsbedingten Schwankungen unterworfen. Fegerl interessiert grundlegend, was hier ansatzweise angesprochen und sonst wenig beachtet wird: Wie funktioniert der Ausstellungsbetrieb? Welche Infrastruktur ist vorhanden und erfüllt sie die Mindestanforderungen? Wie fragil, verwundbar oder leistungsfähig ist sie? Wie wirkt sich das Klima, der Sonnenstand oder die Dunkelheit auf die Werke und ihre Wahrnehmbarkeit aus?
Die Künstlerin arbeitet mit dem gesamten Gebäude, verschränkt Geschichte und Gegenwart, interveniert in dessen Substanz und involviert maßgebliche funktionale Elemente. Fegerls Auseinandersetzung fordert durchaus institutionskritisch dazu auf, Nachhaltigkeitsbestrebungen in Institutionen sowie dem übergeordneten kulturpolitischen System zu intensivieren und durch infrastrukturelle Umstellungen am Puls der Zeit zu bleiben.
Eine 40 m2 große Photovoltaikanlage in den Dornbirner Stadtgarten, also in den öffentlichen Raum zu stellen, scheint im Kontext dessen nur logisch. Damit führt sie normalerweise unsichtbare Prozesse der Energiegewinnung im Ausstellungskontext visuell vor und integriert diese als formale, ästhetische und funktionale Faktoren in das künstlerische Konzept.
Im Inneren des Ausstellungsraums kann man durch eine geöffnete Tür einen Blick auf die Rückseite der Solaranlage werfen. Wechselrichter, Batteriespeicher und Verteilerkasten sind prominent montiert und inszenieren die lose am Boden verlaufenden Stromleitungen zwischen den Objekten der Ausstellung und ihrer proprietären Energieversorgung.
Fünf leicht geneigte Stahlstelen mit einer Höhe von drei Metern und einem Durchmesser von circa 30 Zentimetern flankieren die Längsseite des Kunstraums. Jede Stele ist in zwei ungleiche Abschnitte geteilt, die verbunden sind durch ein kupferfarbenes Element. Bei diesem Element handelt es sich um einen sehr starken Elektromagneten, der die beiden Stahlelemente zusammenhält. Position und Ausrichtung der Stelen orientieren sich an den fünf historischen Schwenkkränen, mit denen die Stelen lose über ein Stahlseil verbunden sind.
Erstmalig kombiniert Fegerl Objekte aus der seit 2016 fortlaufenden Serie „moment“ mit einer Solaranlage. Es schließt sich in ihrem künstlerischen Werk ein Kreis, der das existentielle Abhängigkeitsverhältnis von Werk und Energie sinnhaft und dabei techno-poetisch vorführt. Denn die Stelen halten nur so lange zusammen, bis die Stromzufuhr unterbricht. Passiert das, fallen die einzelnen Teile schlicht und einfach auseinander (gesichert durch das Stahlseil am Schwenkkran). Diese Instabilität der Konstruktion wird intensiviert durch die Neigung der massiven Stahlrohre und erzeugt eine spürbare Spannung. Diese Spannung ist ein essenzieller Teil der Arbeit, sie bespricht die Abhängigkeit und Verfügbarkeit von Energie.
Der Titel „moment“ führt zur Einbeziehung des situativen Erlebens auf mehreren Ebenen: der Verbindung der Stahlelemente auf Zeit oder dem Gegensatz von massiver Materialität zu fragilen Arrangements. Direkt adressiert scheint aber auch der umfassende Begriff der Zeitgenossenschaft – und darin verbinden sich inhärente Prozesse und Herausforderungen des Systems Kunst mit der gesellschaftlichen Realität, wie beispielsweise die Verortung der Produktion- und Ausstellungssituation im hier und jetzt, rekurrierend auf die gesellschaftspolitischen und soziokulturellen Strukturen.
Einen Brückenschlag zum Solarkraftwerk im Außenraum machen die Arbeiten „last light“ und „solar series of electric shocks“. Die Wandskulptur „last light“ zeigt eine modulare Zusammensetzung verschiedener Zellformen, Bauweisen und Materialien historischer Solarpaneele, die im Laufe der technischen Entwicklung wiederholten Optimierungen und per se einem vorherbestimmten Verfallsdatum unterworfen sind. In der übergroßen Collage wird dies in der jeweiligen formalen Gestaltung der Module sichtbar, deren Produktionszeiten von den 1970ern bis heute reichen. In der Umwandlung der Paneele in ein künstlerisches Artefakt wird die Entfremdung von der eigentlichen Funktion vollzogen. Die Paneele produzieren noch Strom, doch der wird nicht mehr genutzt, er bleibt als unsichtbares, zirkulierendes Potential innerhalb der Strukturen. Die visuelle Kraft entsteht aus den verschiedenen Texturen und Architekturen der Module und ihrer Kombination.
An der hinteren Wand der Montagehalle ist ein Bild aus Fegerls Serie „solar series of electric shocks“ mit dem Untertitel „long hours“ zu sehen. Die Serie führt die Beschäftigung der Künstlerin mit Energie als Material und bildgebenden Faktor formal und medial fort. Die 160 x 97 cm großen, in den Dimensionen auf Standard-Solarpaneele verweisenden Edelstahlplatten, sind galvanisch mit Kupfer beschichtet – gesteuert und gespeist hat diesen galvanischen Prozess die Sonnenenergie durch die in Fegerls Studio befindliche Photovoltaikanlage. Die Künstlerin überlässt die Gestaltung den Wetter- und Lichtverhältnissen, die wie in einem malerischen Prozess die Leinwand gestalten. Die ausgestellte Arbeit ist im Januar 2023 entstanden.
Welchen alternativen Zustand die respekteinflößenden Stelen der Arbeit „moment“ nur erahnen lassen, vollzieht die Arbeit „profound understanding“ in durchaus meditativer Dynamik. Ein am Querkran der Halle montierter elektrischer Seilzug lässt einen Elektromagneten auf einen Haufen Eisengranulat herab. Der Magnet wird aktiviert und langsam wieder hochgezogen, dabei trennt er eine von elektromagnetischen Kräften angezogene Granulatmasse vom restlichen Haufen ab. Wird die Stromversorgung nach einer Weile unterbrochen, fällt die durch magnetische Energie verursachte Form in sich zusammen und zurück auf den Haufen am Boden. Was sonst unsichtbar und formlos ist – Elektromagnetismus – wird im Kontext von Fegerls künstlerischer Praxis zur formschaffenden Kraft, Skulptur zum dynamischen Abbild von Energie und Zeit, Aktivierung und Passivität, Geben und Entnehmen.
Mit dem zarten Wandobjekt „capture“ zeigt die Künstlerin einmal mehr welche Produktionsbedingungen ihre Arbeit mit Elektrizität erfordern. Auf Einladung des AIT Austrian Institute of Technology konnte sie im High Energy Labor Versuche machen und hat gewaltige Stromstöße in ein Sandbett einschlagen lassen. Der Stromschlag und die dabei entstandene Hitze ließen den Sand zu Glas schmelzen und zu organisch anmutenden Gebilden erstarren. Die fragilen Formen wurden zur Stabilisierung in Kunstharz eingegossen und mit einer Stahlklammer „kurzgeschlossen“.
Die Dornbirner Ausstellung bildet das multimediale Spektrum Fegerls künstlerischer Arbeit in einer fein aufeinander abgestimmten Setzung im Raum ab. Die Erforschung der Möglichkeiten elektrischer Energie als bildhauerisches und bildgebendes Material provoziert eine Reflexion über die Verfügbarkeit und den Umgang mit Ressourcen. Die Künstlerin eröffnet über die Faszination für zeitbasierte, transformative Prozesse von Kräften und Materialien einen experimentellen Raum. Die Verknüpfung einer Ästhetik des Funktionalen mit der Autonomie der Kunst leistet einen Beitrag in den aktuellen Debatten um Ausstellungspraktiken und deren Verantwortlich- sowie Möglichkeiten, ist aber auch ein Kommentar zu einer gesamtgesellschaftlichen Haltung in unserer an Komplexität zunehmenden Gegenwart: „Man kann sie nicht sehen, man kann sie nicht hören, und man kann sie bis zu einem gewissen Grad auch nicht spüren. Trotzdem ist elektrische Energie die Grundlage unseres modernen, technologisierten Lebens: Fortschritt und Entwicklung, Nutzen und Luxus, aber auch Konflikte über Verteilung und Bereitstellung und vor allem die Umweltproblematik – Energie ist ein hochpolitischer Stoff.“ (Judith Fegerl)
Judith Fegerl wurde 1977 in Wien geboren, wo sie heute lebt und arbeitet. Sie absolvierte den Studiengang „Visuelle Mediengestaltung und digitale Kunst“ an der Universität für angewandte Kunst in Wien bei Karel Dudesek, Thomas Fürstner und Peter Weibel (Diplom 2004). Zeitgleich studierte sie an der Akademie der bildenden Künste Wien „Kunst und neue Medien“ bei Peter Kogler und Birgit Jürgenssen (Diplom 2006). 2019 erhielt die Künstlerin den Medienkunstpreis der Stadt Wien und kürzlich wurde sie mit dem Dagmar-Chobot-Skulpturenpreis 2022 ausgezeichnet.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Wir danken unseren Projektpartnern vkw, doma vkw und Salzgeber Mechatronik sowie unserem langjährigen Hauptsponsor der Dornbirner Sparkasse für Ihr Engagement!