Fulterer Scherrer
blingbling
Press Preview
Mittwoch, 22. November 2023, 10:30 Uhr
Eröffnung
Donnerstag, 23. November 2023, 19 Uhr
Künstlerinnengespräch
Freitag, 24. November 2023, 14 Uhr
Kuratorenführung mit Thomas Häusle
Donnerstag, 25. Januar 2024, 18 Uhr
Ausstellungsdauer
24. November 2023 bis 4. Februar 2024
täglich 10 bis 18 Uhr
Ausstellungskatalog
Die Publikation erscheint im Frühjahr 2024 mit einem Vorwort von Thomas Häusle, einem Interview mit den Künstlerinnen sowie Texten von Maximilian Lehner und Sina Wagner.
Das Künstlerinnenduo Fulterer Scherrer entwickelt unter dem klingenden Titel „blingbling“ ein für die ehemalige Montagehalle des Kunstraum Dornbirn geschaffenes Konzept neuer Arbeiten mit Raumbezug. Einerseits sind die Dimensionen der skulpturalen Werke mit einem Ausmaß von vier Meter Länge und 1,80 Meter Breite den Sprossenfenstern der Industriehalle entlehnt. Andererseits werden die Arbeiten an Wänden und Decke hängend und lehnend installiert.
Die großformatigen, nahezu elliptischen Skulpturen bestehen aus einem Holzrahmen, dessen Oberflächenstruktur an den lasierten Neonfarbflächen noch leicht erkennbar ist. Die hohlen Rahmen sind mit farbigem Kunstleder ummantelt und bespannt. Das Material ruft alle Assoziationen von Echtleder in Struktur und Haptik auf, ist jedoch als Imitat – als eine organisch anmutende Nachahmung im Abgleich und Gegensatz zum gewachsenen Holz – erkennbar. Es entbehrt der charakteristischen Unregelmäßigkeiten von Echtleder und ist ein industrielles Massenprodukt unserer Zeit. Eines mit weiter Verbreitung in der Modeindustrie. Wobei die käuflichen Produkte oftmals als billig erlebt werden und die gedanklichen Verzweigungen für die Materialverwendung durch die nachgeahmte Verwandtschaft zur Haut, dem größten menschlichen Organ mit komplexem Sensorium, bis zu Fetischkleidung reichen. Fulterer Scherrer spielen gekonnt mit diesen Referenzen, die in Form stellvertretender Merkmale verarbeitet werden – Merkmale, die nicht nur für die heutigen Möglichkeiten industrieller Produktion, sondern weiterreichend auch für den gesellschaftlichen Umgang mit und die (teils marginalisierte oder versteckte) Verwendung von Materialien mit Zeitzeugencharakter stehen.
Die kunstledernen Flächen werden nicht nur über die Rahmen gespannt und vernäht, wobei sie in Farbgebung und Kombination durchaus abstrakte Farbflächen in sinnlicher Verbindung bilden. Es werden auch Faltungen entworfen, die als Dekor dienen und den Körper des Rahmens erweitern, oder herabhängende Gurte hinzugefügt, die keiner klar definierten Funktion dienen und die gedanklichen Referenzen den Betrachtenden überlassen. Ösen und Nieten von überproportionalen Ausmaßen halten Holz und Kunstleder zusammen oder bieten Aufhängepunkte für die Installation – sind also in ihrer eigentlichen Funktion eingesetzt, nur eben stark vergrößert. Die Farbigkeit der künstlerischen Werke steht dabei der beige-gräulichen Architektur der ehemaligen Montagehalle gegenüber. Die Farbpalette reicht von Pastell bis Neon und wird in der Kombination sowohl harmonierend als auch kontrastierend verwendet.
Aus dem lustvollen Zusammenspiel der verwendeten Materialien, Elemente und Farbigkeiten ergibt sich in der Größe der Skulpturen ein ständiger Wechsel zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Der klingende Ausstellungstitel suggeriert, dass wir etwas erwarten dürfen, was wir umgangssprachlich verstehen und hören: „blingbling“ ist ein Geräuschwort, das die visuelle Vibration der Arbeiten in Sprache übersetzt. Es hat sich Anfang der 1990er Jahre aus der Hip-Hop-Kultur kommend in der internationalen Alltagssprache etabliert. Einst diente der Ausdruck als Versinnbildlichung von ideellem und materiellem Wert, wie bei glitzernden Diamanten. Inzwischen sind abwertende Konnotationen von Dekadenz und Kitsch hinzugekommen, beispielsweise bei einer übertriebenen Zurschaustellung der eigenen Person durch die Präsentation von glitzernden Luxusgütern.
All die Assoziationsräume und Bewertungskriterien sowie Verwendungen, die durch die Materialien aufgerufen werden, verarbeiten Fulterer Scherrer in ihrem künstlerischen Werk seit langer Zeit. Gleich mehrere Schnittstellen zwischen den Disziplinen von bildender Kunst, Design, Handwerk, Konsum- und Massenkultur dienen ihnen als referenzielle Formgebungen und Zeugen des Kulturellen: Sie schaffen durch eine Ästhetik der Harmonie und Oberflächlichkeit sowie in der Materialität und deren Verarbeitung eine physische Verbindung zwischen Betrachtenden und Kunstwerken. Diese hebt die Unnahbarkeit der formalen Abstraktion auf und stellt spielerisch-leicht die virulenten Fragen von Identität, Sexualität und Macht: „In dem schmalen Bereich zwischen Malerei und Objektkunst werden Fragen nach Dominanz, Kontrollverlust und Schmerz abgehandelt – ritualisierte Praktiken des Schnürens, Spannens werden für den Betrachter zum sichtbaren, erlebbaren Arbeitsprozess, der in einem Punkt des offenen Gleichgewichts stoppt, die Gefahr der Selbstzerstörung jedoch offenlegt.“ (Fulterer Scherrer 2021)
Mit Blick auf Fulterer Scherrers bisherige künstlerische Arbeiten scheint alles in der Ausstellung im Kunstraum Dornbirn der Intimität von Wandobjekten der Serien „studs #2“ (2021) und „studs #1“ (2020–21) oder objekthaften Verspannungen der Serie „Bondage“ (2018–19) entwachsen zu sein. In den genannten Werkreihen arbeiten die Künstlerinnen mit einer farbigen Auswahl von Spanngurten, Keilrahmen, Kunstleder, Nieten und Ösen. Malerische und skulpturale Elemente werden kombiniert, vernäht, verschnürt und gespannt. Die Konstruktionen sind visuell ansprechend und hochästhetisch in der Materialverbindung. Deutlich spürbar ist ein intimer, körperlicher Bezug zu den Werken, erzeugt durch Größe, Materialität und Verarbeitung. Der körperliche Bezug der neuen Arbeiten in „blingbling“ ist dimensional ein komplett anderer – die Skulpturen nehmen mit vier Meter Länge einen beachtlichen Raum ein, übersteigen die menschliche Körpergröße, sind bei naher Betrachtungsposition nur fragmentarisch erfahrbar und spielen in Größe und Anordnung mit der Raumstruktur. Die Architektur der ehemaligen Industriehalle bietet einen elf Meter hohen, 30 Meter langen und 14 Meter breiten Raum, der sich durch die großen Sprossenfenster nach außen öffnet. Die künstlerischen Werke strukturieren unsere Raumerfahrung neu, sie geben Sichtachsen und Bewegungsmöglichkeiten vor, um den Raum zu entdecken.
Biografie
Die Künstlerinnen leben und arbeiten in Wien und im Waldviertel. Gabriele Fulterer wurde in Mürzzuschlag geboren, studierte Bildhauerei am Mozarteum in Salzburg sowie an der Akademie der bildenden Künste in Wien in der Meisterklasse von Bruno Gironcoli. Christine Scherrer wurde in Salzburg geboren, studierte Textiles Gestalten am Mozarteum in Salzburg sowie Malerei/Konzept an der Universität für angewandte Kunst in Wien bei Ingeborg Strobl und Erwin Wurm. Seit 2007 arbeiten die Künstlerinnen kollaborativ, interdisziplinär und medienübergreifend zusammen.