Christoph und Markus Getzner

Von der Kürze der Dauer

Der Kunstraum Dornbirn widmet die Herbstausstellung den Brüdern Christoph und Markus Getzner. In der historischen Montagehalle des Kunstraum Dornbirn wird eine eigens für den Ort geschaffene, raumfüllende Installation mit Objekten und Tafelbildern präsentiert.

Christoph Getzner (geb. 1960 in Feldkirch), besuchte die Meisterklasse für Bildhauerei in Graz und ist seit 1988 Mitglied der Dombauhütte zu St. Stephan in Wien. Markus Getzner (geb. 1965) in Bludenz, studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Arnulf Rainer und Bruno Gironcoli und lebt als Mönch im buddhistischen Kloster Rabten Choeling in Le Mont-Pélerin in der Schweiz. Seit 2004 arbeiten sie gemeinsam an künstlerischen Projekten.

Die seither entstandenen Bilder und Objekte beschreiben in teils großformatigen Installationen einen üppigen, barock anmutenden Bilderkosmos durchsetzt mit biografischen Metaphern und abendländischer Ikonografie, der sich nur schwer entschlüsseln lässt. Thematisch kreisen die Bildfindungen immer wiederkehrend um substanzielle Fragen unseres Daseins, seine Vergänglichkeit und Endlichkeit. Das inhaltliche Konzept des Verhüllens wie Bloßlegens scheint alle Arbeiten der Getzners zu strukturieren und ist letztendlich auch Ausdruck ihres Weltbildes.

Die Titel der Arbeiten verweisen auf philosophische Fragestellungen zur menschlichen Existenz und sind konstitutiver Teil des künstlerischen Konzeptes. „ In Anbetracht der Situation Behausung für die Kürze des Daseins“ liest man als Inschrift auf einer Skizze zu einem Ausstellungsprojekt, oder „Angesichts des Todes verschieben sich alle Werte und Werthaltungen“ war der Titel einer Installation im Museum der Kartause Ittingen. Ein Ausstellungstitel aus 2011 „Zuerst die eigenen Ketten sprengen und dann die Leidesgenossen befreien“, stellt eine konkrete Aufforderung zum Handeln im täglichen Leben dar.

Die in den Objekten und Bildtafeln verwendeten Materialien sind meist recycle bare Stoffe wie Papier, Holz, Wachs und Beton. Hier zeigt sich die stringente Konzeption ihrer Arbeiten, deren Ausführung sich an Kreisläufen und Zyklen orientiert. Dies geschieht sowohl in Hinblick auf biologische Prozesse im Naturablauf als auch in Hinblick auf soziologische und gesellschaftspolitische Strukturen, wenn sie vom „Kreislauf der Armut“ oder vom „Kreislauf der Gewalt und der daraus resultierenden Angst“ sprechen.

Die Aussage Franz Kafka’s, „ ich schreibe nicht wie ich spreche, ich spreche nicht wie ich denke, ich denke nicht wie ich denken sollte“, gilt in manchen Aspekten auch für das Schaffen der Brüder Getzner. Es zeigt die Ambivalenz menschlichen Handelns und künstlerischen Tuns auf ohne sie zu hinterfragen, ganz im Gegenteil, ist doch gerade das Wissen um die Janusköpfigkeit menschlicher Existenz die Triebfeder unserer Kultur.

Kuratierung: Herta Pümpel 

Christoph und Markus Getzner

Im Gespräch mit Herta Pümpel und Thomas Häusle

Thomas:

Ihr habt euch sehr bewusst für den Beruf des Künstlers entschieden, verfolgt aber gleichzeitig andere Berufe beziehungsweise Berufungen. Wie seid ihr zur Kunst gekommen?

Christoph:

Vom Elternhaus ist ein starker Einfluss ausgegangen, und da war es besonders der Vater, der uns sehr geprägt und beeinflusst hat und Tür und Tor für die Beschäftigung mit der Kunst geöffnet hat. Der Weg war also in gewisser Weise schon vorgezeichnet und ich habe großes Interesse gezeigt. Ein Anliegen war mir immer das Künstlerische mit dem Handwerklichen zu verbinden. Nicht gleich habe ich die künstlerische Laufbahn eingeschlagen, da ich zuerst auf der handwerklichen Schiene gearbeitet habe und damit eigentlich sehr zufrieden war. Meinen Bruder hatte ich allerdings stets als Vorbild und bei ihm habe ich gesehen, dass es auch einen anderen Weg geben könnte. Durch den Einfluss von ihm habe ich dann mein zweites Standbein auf die Kunst verlegt und bin nun einerseits im Dom und andererseits in der Kunst zusammen mit meinem Bruder tätig. Allein wollte ich künstlerisch nichts machen, da war ich zu unsicher.

Markus:

Für verschiedene Disziplinen bin ich immer offen gewesen, insbesondere Literatur, zeitgenössische Kunst und Philosophie. Mein Interesse an Kunst und Philosophie besteht darin, dass das eine das andere nicht ausschließt, es ging immer begleitend, stets Hand in Hand, wobei ich betonen möchte, dass die Grundlagen mehr in der Philosophie liegen. Die Philosophie ist der Nährboden, sozusagen die Mutter aller Wissenschaften, von dem ausgehend ich versuche, gewisse Dinge sichtbar zu machen.

Das Kunstschaffen an sich sehe ich als Dienstleistung und nicht als etwas Elitäres oder Abgehobenes. Menschen den Zugang zur Kunst zu ermöglichen, gewisse Inhalte zu vermitteln oder einen kleinen Deckanstoß zu geben, dies hat seine Wichtigkeit und in dieser Hinsicht möchte ich dienen oder ein beitragender Umstand sein.

Thomas:

Ihr habt lange Zeit getrennt als Künstler gewirkt. Wie kam es, dass ihr seit 2004 als Künstlerkollektiv zusammen arbeitet?

Christoph:

Es waren äußere Umstände dafür verantwortlich. Einerseits wollte Markus aufhören oder nur mehr ganz reduziert arbeiten und gleichzeitig wollte ich meinen Einstieg in die Kunst versuchen und da hat mir Markus geholfen.

Markus:

Meine Idealvorstellung war völlig aus dem Untergrund bzw. Hintergrund zu agieren, mich ganz zurückzunehmen, indem man einer geeigneten Person Konzepte oder Skizzen übergibt, sodass diejenige ohne mein Zutun weiter daran arbeiten kann. Meine Vision war, völlig von der Bildfläche zu verschwinden und keinerlei Einfluss mehr auf weiter gereichte Konzepte, Skizzen und Modelle auszuüben. Damit würde sich für mich die Möglichkeit eines Rückzuges erschließen, um mich ausschließlich auf die geistige Werkstätte konzentrieren zu können. Ich fragte meinen Bruder, ob er sich vorstellen könnte, in dieser Konstellation zu arbeiten, worauf Christoph meinte, dass er nur zusammen mit mir arbeiten wolle. Ich fragte einen meiner ehrwürdigen Meister, der mich in diesen Überlegungen bestärkte und mir den Rat gab, mit meinem Bruder zusammen zu arbeiten. Das war 2004, als wir begonnen haben ganz offiziell zusammen zu arbeiten.

Generell habe ich auch in anderen Arbeitssituationen, wie beispielsweise im Kloster, immer lieber den Teil, der im Hintergrund stattfindet, wie z.B. Kartoffeln zu schälen.

Christoph:

Das Kartoffelschälen ist auch wichtig.

Markus:

Aber es ist auch notwendig, dass jemand die Arbeiten koordiniert und delegiert. Ich hätte gerne mehr Zeit für das Überlegen, Untersuchen und Recherchieren, insbesondere in Themenbereichen innerhalb der bildenden Kunst.

Thomas:

Gibt es so etwas wie eine Rollenverteilung oder Aufgabenteilung in eurer Künstlerpartnerschaft?

Christoph:

Wenn er bei mir in Wien ist, ist die Rollenverteilung so, dass ich koche.

Markus:

Du machst die Gussformen, ich habe keine Ahnung von dieser Tätigkeit und kann mich nur sehr schwer in diesen Vorgang hineindenken. Es fällt mir bereits schwer, mich in eine Negativform hineinzudenken, wo sind da die Überschneidungen, wie bringt man den Abdruck bzw. das gegossene Positiv aus der Form heraus – alle diese Dinge und diese Art des Denkens sind mir fremd, da ich lediglich ein schwaches räumliches Vorstellungsvermögen habe. Kartenlesen, die Orientierung in Städten, das Gefühl für die Zeit, das sind Dinge, die mir schwer fallen. Daher ist Christoph für das Handwerkliche und Räumlich zuständig.

Christoph:

Und der philosophische Hintergrund kommt von Markus.

Markus:

Du bist derjenige der für die dritte Dimension die Verantwortung übernimmt. Ich bin hingegen mehr für die zweite Dimension zuständig.

Christoph:

Wir versuchen diese Tätigkeiten zu kombinieren, indem wir uns absprechen.

Herta:

Den Namen eurer Homepage „Zwischenzustand“ verstehe ich als eine Art Verweis auf unser Dasein, aber auch als eine Metapher für euer künstlerisches Schaffen.

Markus:

Ja, das ist unsere unmittelbare Lebenssituation, in der wir uns ständig befinden. Jeder Moment ist eine Art Zwischenzustand, der unmittelbare Moment davor und der danach folgende und der dazwischen ist eben der Zwischenzustand. Das Vorübergehende, das nicht Endgültige, das sind die Parameter unseres Daseins.

Herta:

Spielt die Philosophie des Buddhismus, bedingt durch das Mönchtum von dir Markus, eine tragende Rolle in der Konzeption der künstlerischen Arbeit?

Christoph:

Die Philosophie ist die inhaltliche Stütze unserer Arbeit, diese Aspekte kommen von Markus. Bei mir ist der Dom, das Bauwerk die wesentliche Stütze, also das Handwerkliche.

Markus:

Wenn jemand täglich in einer Kathedrale arbeitet und sich ständig in diesen Räumen aufhält, übt die Architektur natürlich einen Einfluss aus. Es ist das gepflegte Handwerk, das sehr prägt, die unmittelbare Vermittlung dieser Handwerkstechniken und die Weitergabe der handwerklichen Tradition spielen hier eine tragende Rolle.

Die Natur und Funktionsweise des Geistes, von welchen wiederum unsere Wahrnehmungsmechanismen und Handlungen bestimmt werden und deren Möglichkeiten einer Degeneration als auch einer Kultivierung sind Aspekte, die in unsere Arbeit einfließen.

Herta:

„Zuerst die eigenen Ketten sprengen, dann Leidesgenossen befreien“ ist Titel eines Objektes. Sind die Titel der Werke substanzielle Teile der Arbeiten? Ist das Wort innerhalb eures Schaffens wichtiger Bestandteil des künstlerischen Vokabulars?

Markus:

Die Sprache spielt eine große Rolle und ich empfinde eine sehr große Wertschätzung der Sprache gegenüber. Die Sprache ist ein wichtiges Instrumentarium und eine ungeheuerliche Kulturleistung.  Wenn wir uns vorstellen, dass die Sprache wegfallen würde, um gewisse Dinge zu vermitteln, so wäre bereits die Beschreibung der einfachsten Dinge unheimlich schwer.

Man hat die Möglichkeit, z.B. in der Philosophie Dinge sehr genau zu beschreiben, andererseits gibt es Momente, die mit einem Bild besser zu vermitteln sind, als mit Worten. Jedes Ausdruckmedium hat ganz besondere Stärken, wie die Literatur und Musik etc. Sprache taucht in unserem Werk sehr reduziert auf, sie hat aber die zentrale Funktion des Leitmotives.

Herta:

Der Begriff Zeit wird in eurer künstlerischen Auseinandersetzung immer wiederkehrend thematisiert. Die Vergänglichkeit, die ständig fortschreitende Zeit manifestiert sich in Objekten und Bildtafeln, der Titel „Von der Kürze der Dauer“ lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf diese Begriffe. Ist die Beschäftigung mit der begrenzten persönlichen Zeit und der eigenen Vergänglichkeit die Antriebfeder für künstlerisches Schaffen?

Markus:

Die Beschäftigung mit der begrenzten persönlichen Zeit ist nicht nur Antriebsfeder für künstlerisches Schaffen sondern für alles menschliche Tun. Durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit lernt man nach und nach zu erkennen, welche Dinge in unserem Dasein wesentlich sind.

Angesichts des Todes verschieben sich Werte und Werthaltungen.

Herta:

In eurer künstlerischen Arbeit ist das Thematisieren unserer aktuellen globalen Situation mit den Problemen und Auswirkungen der Industrialisierung und den Folgen daraus wie Migration, Landflucht und Anonymität zentral. Diese Problemfelder finden sich in euren Werken wieder.

Kann Kunst an sich in dieser Hinsicht etwas bewegen, eine Umkehrung initiieren?

Markus:

In dieser Hinsicht mache ich mir keine Illusionen, ich denke nicht, dass Kunst gesellschaftsverändernd wirken kann, das sind andere Kräfte und große Bewegungen und Entwicklungen, die durch die Art der Handlungen oder durch das Verhalten eines Kollektivs zum Tragen kommen.  Trotz allem hab ich keinen Zweifel, dass Kunst und Kultur wichtige Funktionen ausüben. Wenn diese Decke der Kunst und Kultur wegbrechen würde, wenn wir sagen würden, wir brauchen weder Kunst noch Kultur, da sie sich nicht rentieren – das  ist häufig ein Argument  von kulturfeindlichen Positionen – dann wären wir sehr schnell im Zustand der Barbarei.

Kunst kann Werte vermitteln und für den Betrachter, der offen und bereit ist, kann es Impulse geben, die anregen und sensibilisieren und weitere Dinge wie Bildung und v.a. Herzensbildung in Bewegung setzen. Und diese ist wichtig, wie Heinrich Heine es in einem Aphorismus zum Ausrduck bringt: “Geld ist rund und rollt weg. Bildung bleibt.“

Christoph:

Es gab etliche Reaktionen der Besucher in der Ausstellung, besonders beim Bild „Der letzte Bergbauer“, der Bauer, der mit den Bäumen jongliert. Da kommt bei der Betrachtung der Gedanke auf „da muss man etwas machen“, es muss etwas passieren –  besonders in der Wahrnehmung der jüngeren Generation, die kritischer ist.

Markus:

Große Dinge und Umwälzungen innerhalb der Gesellschaft können nicht einzig von der Kunst ausgelöst werden. Aber trotz allem muss man im Kleinen beginnen. Das eigenverantwortliche Handeln stellt einen Beitrag zu  konstruktiven  Veränderungen dar. Dinge, die im Kulturbetrieb stattfinden sind wie ein Sprungbrett, das einem zu weiteren, tieferen Überlegungen führen kann, welchen einem die Möglichkeit geben, Zusammenhänge zu erkennen. Im Prozess der Erkenntnis kann die Wirkung sehr subtil und nahezu unmerklich stattfinden. Viele grobe, offensichtliche Wirkungen sind nichts anderes als das Ergebnis zahlloser vorausgehender kleiner Wirkungen, diese wiederum sind das Ergebnis eines Wechselspieles von Ursache und Wirkung. 

Christoph:

Darum ist das Kunstheft zur  Ausstellung so wichtig. Es ist wie eine Verlängerung der Ausstellung und trägt darüber hinweg sehr zu einem besseren Verständnis unserer Arbeit bei. Es dient dem Betrachter als Stütze. Das Kunstheft, als vermittelndes Medium, wurde von Martin Oswald sehr verständlich aufgebaut, einfach gehalten und die Resonanz war durchwegs positiv.

Herta:

Die Ausführung und Konzeption eurer Arbeiten orientiert sich an Kreisläufen und Zyklen. Dies geschieht sowohl in Hinblick auf biologische Prozesse im Naturablauf als auch in Hinblick auf soziologische und gesellschaftspolitische Strukturen, wenn ihr vom „Kreislauf der Armut“ oder vom „Kreislauf der Gewalt und der daraus resultierenden Angst“ sprecht. Wie kann ich diesen Gedanken in euren Werken nachgehen?

Markus:

Das ist ein sehr wichtiger Aspekt in der Konzeption unserer Arbeit. Das sich im Kreis drehen, die ovale Bahn, die auch in dieser Figur vorkommt, deutet hin auf Wiederholung, das sich ständige Wiederholen unserer Geschichte. Auf Gewalt folgt meistens nicht Versöhnung, sondern wiederum Gewalt. Wenn man beobachtet wie auf Schwierigkeiten geantwortet wird, gewinnt man den Eindruck, dass das letztliche Ornament der Gesellschaft die Waffen sein werden,  die sprechen und nicht die Worte. Das wird mittels Kreisen angedeutet, das Wiederholen, das nicht Durchbrechen eines gewissen Verhaltens.

Christoph:

Man baut Zäune auf und lernt nichts daraus. Es gibt keine wirkliche Entwicklung. Aber ein Kreislauf kann auch etwas Positives bedeuten, ich denke an meine Arbeit am Dom, dass man eine gewisse Routine bei der Arbeit hat, und die Wiederholung eine beruhigende Wirkung ausstrahlt. Ich verstehe „Kreisläufe“ auch in dieser Hinsicht.

Herta:

Die aktuelle Ausstellung im Kunstraum Dornbirn erinnert in manchen Aspekten an sakrale Innenräume. Der zentrale Tisch weckt Assoziationen an die Mensa in christlichen Kirchen. Ist es richtig, dass christliche Ikonografie und buddhistische Philosophie in eurem Weltbild gleichberichtigt nebeneinander bestehen können?

Christoph:

Die sakrale Atmosphäre der Montagehalle hat uns natürlich von Anfang an sehr angesprochen. Die Mensa mit dem Kronleuchter darüber verstärkt diesen Eindruck. Die christliche Ikonografie ist sehr versteckt in den Werken eingearbeitet. Der Kronleuchter steht für einen feierlichen Anlass, der hier in dieser historischen industriellen Montagehalle als ein stellvertretendes Relikt fungiert.

Markus:

Es sollte nie ein Schwierigkeit sein, wenn sich verschiedene Kulturkreise, Religionen und Anschauungen begegnen, vorausgesetzt, man ist offen. Daher empfinde ich es immer als Bereicherung und sehe da niemals eine Unzulänglichkeit. Wenn man sich fürchtet vor Neuem und Unbekanntem, kann es natürlich ein Problem sein.

Herta:

Der Luster der nicht leuchtet, die Lampen entlang der Längswände, die dunkel bleiben. Das Zeitalter des Barock ist vorbei erklärte mir gestern Christoph – befinden wir uns momentan in einem dunklen Zeitalter? Ist eure Weltsicht negativ?

Markus:

Unsere Weltsicht ist keine negative, weder geprägt von Pessimismus noch Optimismus, sondern ist bemüht um eine realistische Sichtweise. Tatsache ist, dass wir uns in einer degenerierten Zeit befinden, gekennzeichnet von verschiedenen Merkmalen, wie ethischem Verfall, verbreiteten grundlegenden Fehlanschauungen, häufiges Auftreten grober abträglicher Geisteszustände wie Hass, Gier und Unwissenheit. Wenn es in einem Raum dunkel ist, kann man die Dinge, die sich darin befinden nicht korrekt  wahrnehmen.  Wenn man durch einen dunklen Wald geht, sieht man viele Dinge, die in Wirklichkeit gar nicht da sind.  Ein klassisches Beispiel ist, wenn man in der Dämmerung ein Seil in der Wiese liegen sieht, und meint, dass es sich um eine Schlange handelt, dabei ist es nur ein Seil. Im Moment des Erfassens sind die Emotionen so real und konkret, dass alle Ängste aufkommen, die man hätte, wenn es sich um eine echte Schlange handeln würde. Dunkelheit steht für diese geistige Umnachtung, Unklarheit und Unwissenheit. Diese Lampen die nicht mehr leuchten, sollten eine Warnung sein, ein Warnlicht (obwohl es nicht leuchtet), das uns erinnert achtsam zu sein, um nicht in eine geistige Umnachtung hineinzugeraten, in der wir die Kontrolle und den Überblick über unsere Handlungen verlieren könnten. Das hat mit Unklarheit zu tun, keine Distanz zu haben, keine Klarheit und kein Licht. Zweifelsohne gibt  es Zeitpunkte in einer Gesellschaft, die so degeneriert sind, dass eben dadurch ein finsteres Zeitalter anbricht.

Thomas:

Eure Bildsprache ist stark durchsetzt von wiederkehrenden Figuren wie z.B. dem Trinker, dem Wächter, dem letzten Bergbauern, dem Zwerg, dem Mädchen. Welche Bedeutung haben diese Figuren und wofür stehen sie?

Markus:

Wir arbeiten häufig mit dem Prinzip der Wiederholung. Dieselben Figuren kehren immer wieder, allerdings in anderen Zusammenhängen. Die Figur des Trinkers steht für den Rausch, für den Rausch der Jugend und Jugendkultur in unserer Gesellschaft, wo Äußerlichkeiten wie der Körperkult so im Vordergrund stehen, dass der Blick auf Wesentliches verloren geht. Als Beispiel nenne ich einen Jugendlichen, der sich in keinster Weise vorstellen kann, wie es ist, alt und gebrechlich zu sein. Ich selbst konnte mir als Jugendlicher keine Vorstellung vom Alter machen. Aber auch andere Umstände können einen völlig besetzen und vereinnahmen, zum Beispiel eine übertriebene Sorge um den eigenen Besitz, um Reichtum, um die Stellung und den Ruf,  den man genießt.  Somit bleiben weder Raum, noch Zeit um sich ernsthaft Gedanken über andere zu machen. Durch diese Dinge ist man völlig blockiert wie in einem Rausch, aus dem man nicht rauskommt – die Figur des Trinkers ist ein Sinnbild dafür.

Christoph:

Beim Trinker hat uns die äußere Form angesprochen, das Grobe, das Rustikale.

Markus:

Die andere Figur ist die des Wächters. Er kommt auch oft in den Zeichnungen vor. Die Bedeutung des Wächters ist verbunden mit dem Licht. Er steht stellvertretend dafür, dass man sich selbst auch eine Leuchte sein sollte, das sollte ein Appell an die Eigenverantwortlichkeit jedes einzelnen sein. Es heißt: „Lange ist die Nacht dem Wachenden…“ Wie auch immer die Umstände um einen herum sein mögen, man hat die Verantwortung klar und eigenverantwortlich zu handeln. In Extremsituationen wie z.B. während des 2. Weltkriegs, in dem Menschenmassen uniform gesteuert wurden, hat es doch Leute gegeben, die die Zivilcourage besessen haben und Juden bei sich versteckt haben auf Kosten ihres eigenen Lebens.

Das symbolisiert die Figur des Wächters, der mit der Laterne im Dunkeln steht, ein Einzelner, der auch in schwierigen Situationen Eigenverantwortung übernimmt und nicht konform geht mit der Masse. Wenn die Konformität wichtigen Prinzipien wiederspricht, wie ethisch moralischen Kriterien, sollte man nicht mit dem Strom mitschwimmen. Das ist mit der Figur des Wächters gemeint.

Um noch die verbleibenden Figuren in ihrer Bedeutung kurz anzuführen:

Der letzte Bergbauer steht für das Verschwinden wichtiger gewachsener Überlieferungen. Der Zwerg ist das Wesen aus dem Märchen, der im Verborgenen aktiv ist, so steht der Zwerg für den Geist, der äußerst aktiv und Ausgangspunkt aller Handlungen ist.  Darüber hinaus ist der Geist  verborgen, in der Hinsicht, dass er nicht von einem Sinnesbewusstsein wahrgenommen werden kann. 

Das Mädchen ist eine Anspielung an den Topos in der bildenden Kunst „ Der Tod und das Mädchen.“

Es geht letztendlich um die Konfrontation mit dem Tod als auch mit anderen schwierigen Situationen – hier in der Ausstellung ist es die Konfrontation mit der Atomkatastrophe in Fukushima. Die Verselbstständigung und Tragweite vom Menschen entwickelter technischer Entwicklungen und der Mangel an Kontrolle führen zur Ratlosigkeit.

Andererseits ist es auch ein Hinweis auf das gegenwärtige Ausklammern der gesamten Dimension des Todes. Ich denke an Matthias Claudius: “Vorüber! Ach Vorüber! Geh wilder Knochenmann! Ich bin noch jung, geh Lieber! Und rühr mich nicht an.“

Wir wissen rational, dass wir sterben müssen, jedoch emotional halten wir uns an der trügerischen Illusion fest, dass dieser endgültige Moment nicht heute sein wird, sondern in ferner Zukunft.

Herta:

Der Wächter hat neben seiner Laterne auch einen Hammer – zerschlägt er damit totalitäre, verkrustete, ausbeuterische gesellschaftliche Strukturen?

Christoph:

Der Hammer kann ein Hilfsmittel sein, je nachdem wie man es sieht kann man damit etwas einschlagen oder auch erschlagen, oder eben handwerklich damit etwas produzieren. Der Hammer an und für sich ist nicht schlecht, es kommt immer darauf an, wofür er gebraucht wird, mit welcher Absicht diese Dinge eingesetzt werden.

Herta:

Die Objekte sind größten teils aus Papiermaché, dadurch wirken sie optisch schwer wie in Beton gegossen oder aus Stein gehauen. Tatsächlich sind sie sehr leicht. Ist diese Täuschung Teil des künstlerischen Konzeptes?

Christoph:

Absolut. Das optisch Schwere ist oft sehr leicht (von seinem tatsächlichen Gewicht her). Das optisch leichtere ist aber in vielen Fällen tatsächlich aus Beton. Das Spiel mit der Oberfläche, die farbliche Ähnlichkeit – man sollte sich nicht auf den ersten Eindruck verlassen.

Ein anderer Aspekt ist unsere Ateliersituation (in einem Wohnhaus, 1. Stock), in der es von Vorteil ist aus leichtem Material große Volumina anzufertigen – kleinere können hingegen aus Beton gegossen werden.

Markus:

Die Begriffe Erscheinungsweise und Bestehensweise sind wichtig. Oft hat die Erscheinungsweise und die Art wie wir nach diesen Dingen gedanklich greifen nichts mit der eigentlichen Bestehensweise zu tun. Eine  große Unzulänglichkeit ist unsere Unfähigkeit die eigentliche Natur eines Phänomens fehlerfrei zu erkennen.

Thomas:

In der Ausstellung treffen wir immer wieder auf die Kategorien Achtsamkeit und Wertschätzung. Weshalb sind diese Begriffe für eure Arbeit so zentral?

Christoph:

Achtsamkeit denke ich vor allem im Umgang mit den Mitmenschen, z.B. das man für schwächere Zeit hat. Bei uns am Dom ist das ein zentrales Anliegen. Wir feiern immer am 24.12. zu Weihnachten mit den Obdachlosen im Kurhaus. Hier ist es wichtig einmal nur für sie da zu sein, das ist immer ein sehr berührendes Erlebnis. Für mich ist es wichtig diesen Aspekt mit hinein zu nehmen.

Markus:

Achtsamkeit ist für mich eine Art Erinnerung. Es gibt verschiedene Arten der Erinnerung, z.B. eine Erinnerung an die Vergangenheit. Es gibt auch eine Erinnerung an die Zukunft, sich zu vergegenwärtigen was ich nächste Woche zu tun habe. Es gibt auch eine Erinnerung an die Gegenwart, dass ich mir vergegenwärtige, was ich im Moment tue. Sich völlig bewusst zu sein, was im Moment geschieht. Das heißt auch völlig anwesend und geistesgegenwärtig zu sein gegenüber der Person, mit der ich gerade spreche oder der ich zuhöre. Das ist Achtsamkeit und Wertschätzung, die man systematisch kultivieren sollte. Diese Haltung zu schulen geschieht in Form eines Erkenntnisprozesses und kulminiert in einer Haltung des Respekts als Zeichen der Wertschätzung anderen gegenüber –  die Vergegenwärtigung dass man schließlich nur Dank anderer lebt und überlebt.

Herta:

Ist für einen Kultur- Schaffenden die Absurdität menschlicher Existenz und ihre Begrenztheit erfahrbarer – oder ist die Beschäftigung mit Kunst, und jetzt schließe ich auch den Betrachter mit ein, ein Mittel unser Dasein besser zu begreifen?

Markus:

Die Beschäftigung mit Kunst und die damit einhergehende Erkenntnis ist abhängig vom Betrachter. Während meiner Studienzeit bei Bruno Gironcoli hat der Philosoph Burghart Schmidt das Kunstwerk „als die Summe seiner Anschauungsmöglichkeiten“ bezeichnet, eine Definition, die ich damals nicht verstanden habe. Aber wenn man sich öffnet, sich Zeit nimmt und sich einlässt, kann man viele Dinge besser verstehen. Was die Kunst dann bewirkt ist nicht allein abhängig vom Kunstwerk selbst, sondern vor allem vom Betrachter. Ein Beispiel im Zusammenhang mit christlichen Bildwerken wäre folgendes. Man sagt: „dieses Objekt ist sehr segensreich“ – wenn es sich z.B.um eine Marienstatue handelt. Was bedeutet dieser Segen? Das ist die Annahme, dass bestimmte heilsame Haltungen, wie z.B. die Nächstenliebe verstärkt werden durch die  intensive Begegnung mit dem Objekt. Aber das Objekt alleine hat nicht die Kraft diese Wirkung hervorzurufen, es ist vor allem abhängig vom Betrachter. Es kann aber auch Personen geben, die darin etwas Störendes und Verachtenswertes sehen, sodass es Aggressionen in ihnen auslöst und sie das Bildwerk zerstören möchten.

Abhängig von der geistigen Voraussetzung  kann die Begegnung mit Kunst fruchtbar und segensreich aber auch abträglich sein.

Christoph:

Man sieht das sehr schön an meinem Arbeitsplatz am Dom. Da kommen täglich Gläubige und nicht Gläubige, die offen sind, die allesamt sehr beeindruckt sind vom Bauwerk von der Ausstrahlung, die das Bauwerk hat.

Markus:

Um es abzuschließen: Ob es ein Objekt der Begierde ist, hängt allein vom Betrachter ab. Nicht vom Objekt. Man vergisst häufig, dass es allein durch den Betrachter zum Objekt der Begierde oder der Abneigung wird.

Herta:

In den vorbereitenden Gesprächen unserer Ausstellung habt ihr wiederholt auf die Botschaft eurer Arbeit hingewiesen und euch gleichzeitig als Schöpfer zurückgenommen. Auf der Einladungskarte ist der Titel der Ausstellung vor eurem Namen gesetzt – Sympathien für den vielgelobten „Künstlermythos“ sind euch demnach fremd?

Markus:

Wir sind so kurz auf dieser Bühne. Diejenigen, die diese Objekte produzieren sind sehr kurz anwesend, und diejenigen, die mit den Bildwerken konfrontiert sind ebenso. Was eventuell einen etwas längeren Bestand hat  sind die Werke, die Künstler sind nicht mehr da. Es scheint so, dass viele Künstler sich etwas zu wichtig nehmen, wir ziehen es vor im Hintergrund zu sein.

Herta:

Danke für das Gespräch.

Sehen Sie hier den Kurzfilm zur Ausstellung:

Vermittlung

Christoph und Markus Getzner
Von der Kürze der Dauer

Christoph und Markus Getzner

Von der Kürze der Dauer
Christoph und Markus Getzner
Von der Kürze der Dauer

Katalogdokumentation zur Ausstellung mit Fotos und Texten von Friedemann Malsch und einem Interview von Herta Pümpel und Thomas Häusle mit den Künstlern.
Herausgeber Kunstraum Dornbirn
62 Seiten, Softcover
Verlag für Moderne Kunst, Wien
ISNB: 978-3-903004-73-3