Roman Signer

Unfall als Skulptur

„Diese Installation ist eine aus einem Unfall entstandene Skulptur. Durch Unfälle ereignen sich häufig
merkwürdige skulpturale Situationen.“
– Roman Signer

Ein mit Wasserfässern beladener Piaggio fährt eine 11 Meter hohe Rampe hinunter und auf der
Gegenseite wieder hinauf. Der Dreiradtransporter überschlägt sich und landet auf dem Boden.
Was wie ein Unfallbericht klingt, ist die Werkanlage eines skulpturalen Ereignisses von Roman
Signer im Kunstraum Dornbirn/Vorarlberg. Der 1938 in Appenzell geborene und in St.Gallen lebende
Künstler gehört nach seinen Beteiligungen an der documenta 8 in Kassel (1987), der Ausstellung
Skulptur Projekte Münster (1997) und der Biennale in Venedig (1999) zu den bedeutendsten
Gegenwartskünstlern. Für den Kunstraum Dornbirn hat Roman Signer nach drei Aktionen im
vergangenen Dezember: Fahrt an der Decke, Aktion mit Modellhubschrauber und Fässern und
Kanonenschuss mit Ball auf übereinander stehende Fässer, eine neue Installation konzipiert.
Die Ausstellung wird am 28. August 2008 eröffnet.

Flüge der Objekte durch den Raum, Explosionen ausgelöst durch Sprengstoff jeder Art, Kollisionen
und das Spiel mit der Schwerkraft. Durch die künstlerische Transformation wird Vertrautes plötzlich
fremd, und die Dinge des Alltags erscheinen absurd. Roman Signer benutzt seine immer wieder
kehrenden Gegenstände wie Modellhubschrauber, Piaggio, Koffer, Tische, Stiefel und Fässer meist
nicht in ihrer gewohnten Funktion, sondern setzt sie gezielt Ereignissen aus. „Ich entwickle die
Konstruktion, die eigentliche Form entsteht wie von selber durch einen Naturvorgang“, so der
Schweizer Künstler.
Das Akzeptieren und der Einbezug des Zufalls oder natürlicher Prozesse bei der Realisierung
eines Werkes sind für Roman Signer von zentraler Bedeutung. Ernsthaftigkeit und eine lange
Vorbereitungszeit gehen den skulpturalen Ereignissen voraus.

Aktionen für den Kunstraum Dornbirn
Als Auftakt zur aktuellen Installation im Kunstraum Dornbirn hat Roman Signer im Dezember letzten
Jahres bereits drei Aktionen durchgeführt: Ein ferngesteuertes Kleinfahrzeug wird durch ein nach
unten gerichtetes Düsentriebwerk an die Decke des Kunstraumes gepresst. Es bewegt sich kopfüber
langsam vorwärts und fällt nach Erreichen des Ziels in ein Sicherungsseil. Der Rückstoß des Abgas-
strahls wirbelt am Boden ausgelegte Zeitungsblätter auf. Bei der zweiten Aktion rollt ein Modellhub-
schrauber allein durch den Luftdruck seiner Rotorblätter dreimal eine Tonne in Richtung des
geöffneten Hallentors. Zum Abschluss trifft ein Fußball – als Kanonenkugel aus einer Vorderlader-
Kanone gefeuert – mit voller Wucht einen Turm aus Fässern, der in sich zusammenstürzt.

Momente des Umfallens – der Unfall als ästhetisches Ereignis
Raum, das Geschehen im Raum und Zeitabläufe bestimmen das Schaffen des 70-jährigen Künstlers,
der das Staunen, genaues Beobachten, die Freude am Experiment und an Jugendstreichen und
Bubenträumen nicht verlernt hat. Humoristischer Tiefgang und ein ausgeprägter Sinn für die Skurrilitäten
des Lebens zeichnen ihn aus. Unfälle üben auf Roman Signer eine Faszination aus, nicht Tod und
Verletzungen, vielmehr das Geschehen zieht ihn in den Bann: „Zum Beispiel habe ich einen beladenen
Lastwagen beobachtet, der ins Schleudern kam und umgekippt ist. Aus seinem Inneren rieselte Zucker
auf den Boden und bildete Kegel.“

Momente des Umkippens oder Umfallens, der extremen Beschleunigung und des abrupten Stillstandes,
der Verdichtung oder Zerstreuung als ästhetische Ereignisse bilden den Ausgangspunkt der aktuellen
Arbeit für den Kunstraum Dornbirn, die exemplarisch Roman Signers Verständnis von Skulptur
manifestiert. Der Künstler wird zum Auslöser der in alltäglichen Gegenständen innewohnenden
potentiellen Energie. In einer Versuchsanordnung initiiert er einen Transformationsprozess.

Die der Installation – Unfall als Skulptur vorausgehende Aktion im Kunstraum Dornbirn findet
aufgrund des Gefahrenpotentials, das Roman Signers Arbeiten häufig innewohnt, unter Ausschluss
der Öffentlichkeit statt. Die Besucher werden mit den Relikten und Spuren des abgelaufenen
Prozesses konfrontiert. Sie rekonstruieren das spektakuläre Geschehen in ihrer Fantasie, so wie
man es beim Betrachten der Fotos von Verkehrsunfällen tut. Die Werkmaterialien werden von
Roman Signer von einem statischen, über einen dynamischen wieder in einen, jedoch veränderten,
statischen Zustand überführt. In seinen Arbeiten verbindet sich existentielle Erfahrung mit der
Poesie des Visuellen.

Prozessorientierte Untersuchung der Welt
Roman Signers Skulpturenbegriff ist seit den 1970er-Jahren durch Prozesshaftigkeit, Bewegung,
raum-zeitliche Ausdehnung und den Einbezug von Naturkräften geprägt. In einer künstlerischen
Recherche, einer Art plastischer Grundlagenforschung, widmet sich der Künstler den Energie-
potentialen der Natur und den physikalischen Eigenschaften so vertrauter Dinge wie eines
italienischen Dreiradtransporters oder von Wasser. Aber auch Feuer, Raketen und Explosionen
übersetzt er in ephemere Skulpturen und nutzt ihr jeweiliges Energiepotential zur Deformation
bzw. Transformation von Tischen, Fässern, Fahrrädern etc. Diese alltäglichen Gegenstände bilden
ein präzise ausgewähltes, zahlenmäßig überschaubares Repertoire, auf das der Künstler in immer
neuen Kombinationen zugreift. Roman Signer versteht sich als Bildhauer und bezeichnet seine
Aktionen als Skulpturen, obwohl diese momentanen Charakter haben. Sein Werkbegriff ist ein
dynamischer, die Bewegung steht im Mittelpunkt und darin ist das Potential zur Veränderung
angelegt. In diesem Sinne sind Roman Signers Arbeiten als Zeit-Skulpturen zu verstehen, die
prozessuale Abläufe in der Zeit und deren mediale Aufzeichnung durch Fotografie und vor allem
Video umfassen.

Ingrid Adamer

Zum Künstler:

Geb. 1938 in Appenzell/CH

Preise
1972 Kiefer-Hablützel Stipendium
1972 Eidgenössisches Kunststipendium
1974 Eidgenössisches Kunststipendium
1977 Eidgenössisches Kunststipendium
1995 Kulturpreis Bregenz/AT
1998 Konstanzer Kunstpreis, Konstanz, /DE
Kulturpreis der Stadt St.Gallen/CH
2004 St. Galler Kulturpreis, St.Gallen/CH
2006 Aachner Kunstpreis, Aachen/DE
2008 Ernst Franz Vogelmann Preises für Skulptur, Heilbronn/DE

Ausstellungen (Auswahl)
2007/08 Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin
2007 Fruitmarket Gallery, Edinburgh
2006 Actions, Swiss Video Programme, Tate Modern, London
2006 Galician Centre of Contemporary Art, Santiago de Compostela/ES
2005 O.K Centrum für Gegenwartskunst
2003 Sammlung Hauser und Wirth, ‚Roman Signer´, St. Gallen
2001 Camden Arts Centre, ‚Roman Signer‘, London
1999 Schweizer Pavillion, 48. Biennale Venedig
1997 „Ich war hier – I was here“, The Swiss Institute, New York
1997 „Alpenblick. Die zeitgenössische Kunst und das Alpine“, Kunsthalle Wien
1997 „Neue Arbeiten“, Galerie Hauser & Wirth, Zürich
1987 documenta 8, Kassel
1985 „Schnelle Veränderungen“, Künstlerhaus Stuttgart
1973 „Objekte, Konstruktionen“, Galerie Lock, St. Gallen

Roman Signer, 'Unfall als Skulptur', 2008, © the artist

Katalog

Roman Signer
Unfall als Skulptur

Texte und Bilder zur Ausstellung
Herausgeber Kunstraum Dornbirn
Zweisprachig: Deutsch und Englisch
40 Seiten
EUR 15.- / SFr 27.-
ISBN 978-3940748-74-4
erschienen im Verlag für moderne Kunst Nürnberg, 2008