Nathalie Djurberg & Hans Berg

Worship

In den Stopp Motion Filmen des schwedischen Künstlerpaars Nathalie Djurberg & Hans Berg betreten Figuren aus Knetmasse die Bühne, welche formal der Welt von Kinderfilmen entsprungen scheinen, dabei jedoch hochbrisante gesellschaftliche Themen und menschliche Handlungsweisen thematisieren.  Die Filme provozieren den Blick auf Welten, die um elementare Fragestellungen des menschlichen Daseins, um Liebe, Lust, Macht, Unterdrückung und Gewalt kreisen.

Das jüngste filmische Werk „Worship“, aus 2016 thematisiert in unzähligen Versionen erotische Phantasien und geschlechtsspezifische Verhaltensweisen in bunten, skurrilen Bildern.  Die elektronischen Kompositionen von Hans Berg verdichten die suggestiven Bilder und verschmelzen zu einem nachhaltigen Eindruck.

Der Film „Waterfall Variation“ (2015) hingegen beschreibt aus tausenden Kohlezeichnungen analog zusammengesetzt, einen Wasserfall in einem undurchdringlichen, geheimnisvollen tropischen Urwald. Die ungezähmten Gewalten der Natur stehen hier den menschlichen Obsessionen und Trieben im Film „Worship“ gegenüber. Hans Bergs Musik begleitet den Besucher auf die Reise in abgründige Sphären.

„The Clearing“ aus 2015 ist ein monumentales Werk,  bestehend aus den Filmen „The Winner“ und „Butterflies“ sowie Blumenobjekten auf sich drehenden Plattformen. „Butterflies“ breitet sich rotierend in der gesamten Halle aus. Im Film „The Winner“ werden Themen wie Abhängigkeit und soziale Stellung vor dem Hintergrund psychologischer Mechanismen bearbeitet.

Interview

Nathalie Djurberg & Hans Berg im Gespräch mit Thomas Häusle

THOMAS

Seit 2004 arbeiten Sie als „Künstlerpaar“. Was haben Sie vorher gemacht? Haben sich die Art und der Inhalt Ihrer Arbeit verändert?

NATHALIE

Ich war vorher schon als Künstlerin aktiv und produzierte Animationen; ich habe auch versucht, mit MusikerInnen zu arbeiten. Aber das funktionierte nicht. Genauso wenig wie mein Versuch, mir Musik von anderen anzueignen, sie zu schneiden und dann zu verwenden. Hans hat immer schon Musik gemacht, aber ich glaube nicht, dass er diese Tätigkeit wirklich ernst nahm, bevor wir begannen zusammen zu arbeiten.

HANS

Ich habe in jeder freien Sekunde Musik produziert, aber nicht wirklich professionell, es war mehr wie ein Hobby. Und dann traf ich Nathalie und begann, mit ihr zusammenzuarbeiten, und durch sie erkannte ich, dass Musik für mich am wichtigsten ist. Also habe ich der Musik dann meine gesamte Zeit und Energie gewidmet. Nathalie überredete mich, den Schritt wirklich zu tun und mein Vorhaben umzusetzen.

NATHALIE

Die Arbeit veränderte sich. Für mich ist Musik tatsächlich 50 Prozent davon; wenn du sie weglässt, wird etwas ganz anderes daraus, und so ist Musik für mich unglaublich bedeutsam. Ich glaube, am wichtigsten war unter anderem, dass ich das losließ, was Hans tat.

Musik verändert, wie du die Arbeit siehst, sie beeinflusst dich emotional, sie macht sie erträglich oder unerträglich, ironisch oder einfältig. Indem ich Hans also vollständige Freiheit darin gebe, die Arbeit tatsächlich so zu verändern, wie er sie haben will und was er darin sieht, fügt er ihr eine weitere Dimension hinzu.

HANS

Ja. Anfangs war ich zu zurückhaltend, um mich auseinanderzusetzen, und wir machten es auf Nathalies Weise, und dann mochte sie es nicht. Ich glaube, dass sie bei einem Film so sicher war, dass sie wusste, was am besten funktionieren würde, aber dann richteten wir uns dieses Mal nach meinem Willen und zum Glück war sie, glaube ich, damit zufrieden. Sie hat mich aber sicher nicht so viel kontrolliert, wie sie meint.

THOMAS

Beeinflussen Sie sich gegenseitig während Ihres Produktionsprozesses? Oder handelt es sich dabei um getrennte Prozesse, die danach irgendwie zusammenwachsen?

NATHALIE

Ich glaube, teilweise sind es kollektive Arbeitsprozesse, weil wir unsere eigenen Studios zu Hause haben, also ist alles so nah beieinander, und wir arbeiten eben ausschließlich in dieser Umgebung. Aber der Prozess des eigentlichen Produzierens und die Ideen, die ich für die Animation habe, sind trotzdem vollständig meine eigenen und sehr privat. Allerdings gebe ich sie dann an Hans weiter und sein Prozess ist auch sehr privat, es gibt also diese getrennten Bereiche, die wir dann teilen.

HANS

Ja, unsere Studios befinden sich in unserer Wohnung genau nebeneinander. Also diskutieren wir Dinge, an denen wir arbeiten, bei dem jeweils anderen. Nathalie kann mich besuchen und ein wenig meiner Musik zuhören, und ich komme und schaue mal nach, was sie macht.

NATHALIE

Ja, aber es ist unvermeidlich, dass ich deine Sachen höre! Ich höre diesen Loop tagelang und sogar wochenlang immer wieder und du willst immer noch, dass ich ihn mir in deinem Musikstudio anhöre, das ist wirklich ärgerlich!

THOMAS

Nathalie, Sie haben vor Kurzem gesagt, dass nicht das „Was“ wirklich wichtig sei, sondern das „Warum“. Das „Was“ wird in der Sicht und im Geist der BesucherInnen entwickelt und aufgebaut. Was also ist dann Ihr “Warum“?

NATHALIE

Zuerst einmal ein paar Worte über das „Was“. Es ist im Geist der BesucherInnen, glaube ich, erst einmal gar nicht vorhanden, denn das „Was“ ist nur von Bedeutung, wenn du einen Schritt zurück machst und eine Erklärung für die Arbeit haben willst. Das ist so, als würdest du dich zum Abendessen hinsetzen, aber anstatt wirklich zu essen, erklärst du nur jeden Gang; hier kommen die Kartoffeln und die schmecken irgendwie so-und-so, da ist etwas Butter drin und hier hast du das, und dann kommt das Fleisch. Und das Fleisch schmeckt so irgendwie. Aber für die eigentliche Erfahrung des Essens und für das, um was es dabei wirklich geht, ist das keine Erklärung.

THOMAS

Also dreht es sich beim „Was“ mehr um das „Über“ und nicht um das „Es“?

NATHALIE

Ja, das „Was“ kann nie erklären, um was es tatsächlich geht. Also ganz egal, wie sehr du das „Was“ erklärst oder je mehr du es erklärst, desto mehr nimmst du weg, was es tatsächlich ist, weil es dich von dem entfernt, was es ist. Genau das macht die Kunst unter anderem so großartig! Ich glaube, in unserer Gesellschaft hängt alles so sehr von Sprache ab, so sehr von Theorien und Konzepten und davon, in der Lage zu sein, all das in Worte zu übersetzen. Aber Kunst ist so fantastisch, weil genau diese Übersetzung eigentlich nicht notwendig ist. Und Kunst ist meistens noch besser, wenn du nicht allzu viel darüber sprichst, weil du dabei verlierst, was sie tatsächlich ausmacht, was sich wohl besser nicht mit Worten beschreiben lässt, nämlich das „Machen“ oder „Produzieren“. Wenn Sie also gestern angekündigt haben, Sie würden mich über das „Warum“ und nicht über das „Was“ befragen, faszinierte mich dieser Ansatz, denn gerade das „Warum“ ist für mich so interessant. Ich dachte tatsächlich die ganze Nacht darüber nach und glaubte, ich hätte wirklich schlaue Antworten auf die Frage, aber die hatte ich eigentlich nicht. Die Antwort, die der Wahrheit am nächsten kommt, lautet also „Warum nicht?“

HANS

Das „Warum“ ist zentraler für ein Verständnis dessen, was wir produzieren. Das „Warum“ zielt mehr auf den Kern unserer Werke ab. Weil das „Was“ eher deskriptiv ist, während das „Warum“ bereits ein „Was ist es, das uns dazu bringt, dies zu produzieren?“ umreißt.

NATHALIE

Und dann ist es auch möglich, zu dem „Warum nicht“ zu kommen, weil du etwas so lange in die Länge ziehen kannst, bis es seine Bedeutung vollständig verliert. Du nimmst die Kunst an sich weg. Niemand stirbt, nur weil ich aufhöre, Kunst zu produzieren – vielleicht würde das für andere überhaupt keine Rolle spielen. Für mich wird die Arbeit aber genau an diesem Punkt interessant, denn dann kreiere ich einfach nur für mich! Einfach für mich selbst! Und wenn mich das Werk nicht wirklich beeinflusst oder verändert oder wirklich interessiert oder mich irgendwohin zieht oder drängt, kann es auch für niemanden anderen interessant sein. Du kannst nicht etwas tun und dann davon abgeschnitten sein und es trotzdem so gestalten, dass es für jemanden anderen eine Bedeutung hat. Wir sind eben einfach nicht so getrennt voneinander!

HANS

Wir sprechen darüber, was dich anzieht und fasziniert. Das klingt wie etwas, das wir unter Kontrolle hätten, aber es ist interessant zu untersuchen, über was du wirklich die Kontrolle hast, und ob es wirklich möglich ist, Kontrolle auszuüben, in Anbetracht der vielen Aspekte und Quellen, die du dafür berücksichtigen musst. Aber wenn wir über Ideen sprechen und woher diese kommen – wir machen sie nicht. Sie tauchen irgendwo auf und für mich besteht eben meine Aufgabe darin, darauf zu achten, wann sich eine Idee bemerkbar macht und sie irgendwie zu packen. Aber natürlich kannst du den Boden für diesen Prozess vorbereiten.

THOMAS

Aber woher kommen die Ideen? Was ist ihre Quelle; was lässt sie auftauchen. Ist das schwieriger zu beantworten?

NATHALIE

Ich glaube, das ist leicht zu beantworten, denn sie sind einfach ein Produkt von allem. Naja, ich kann nur für mich selbst sprechen, aber ich weiß, dass das auch Hans einschließt, da sich dieser Aspekt auf die gesamte Konditionierung bezieht, die ich als Person habe, wo ich aufgewachsen bin, die Gesellschaft um mich herum, meine Erfahrungen, wie ich mit Bildern und Geschichten genährt wurde, und wie diese meine Wahrnehmung der Welt prägten. Also glaube ich, dass… ich habe die Frage jetzt wieder vergessen. Ich wollte etwas sagen und jetzt habe ich den Faden verloren!

THOMAS

Es ging um die Inspiration. Sie haben gerade gesagt, dass alles die Quelle von Ideen und Inspiration ist. Und dies führt zu einer weiteren Frage. Sind das einfach nur Sie selbst und Ihr Leben und alles, was in Ihrem Leben passiert, das die Quelle der Themen und des Kunstwerks selbst darstellt? Die Frage ist wichtig, weil man vielleicht manchmal gar nicht so abhängig von der Kunstgeschichte und der Arbeit anderer KünstlerInnen ist. Viele KünstlerInnen zitieren und entwickeln sich und entwickeln sich weiter und bewegen sich entlang des Kanons der Kunstgeschichte. Bei Ihnen scheint das nicht so zu sein.

NATHALIE

Nein, manchmal wünschte ich, es wäre so, aber nur, wenn ich besonders clever klingen will. Nein, das ist tatsächlich nicht der Fall. Ich glaube, dass sogar ein Werk, das sich bewusst auf Kunstgeschichte und Philosophie bezieht, noch für sich selbst stehen können sollte. Ich muss die Kunstgeschichte nicht unbedingt mit dem in Verbindung bringen, was ich tue. Für mich ist Kunst mehr, was ich immer weiter tue, von dem ich immer weiter fasziniert bin. Und das muss gar nichts Bestimmtes sein! Oder doch. Alles, was ich sage oder höre, kann auch dessen genaues Gegenteil sein, deswegen ist es sowohl fantastisch wie auch frustrierend darüber zu reden. Aber auch wenn es die Kunstgeschichte nie gegeben hätte, würde ich meine Werke so schaffen wollen. Und dabei handelt es sich um eine Suche, also es ist ein Suchen und der Versuch zu finden, nach was ich eigentlich suche, aber zu diesem Punkt kommt es nie, weil es eben nichts „Vollendetes“ gibt. Es gibt kein Ende, keine Endlinie, auch wenn es so zu sein scheint; es gibt nur eine Entwicklung und manchmal mehr Verständnis. Ich glaube, für Hans ist die Frage sogar noch abstrakter als für mich.

THOMAS

Ein weiterer Aspekt, den Sie erwähnten, ist jener, dass Kunst Ihre persönliche „Freizone“ sei. Diese „Freizone“ ist frei von Scheinheiligkeit, frei von Verstecken, So-tun-als-ob, frei von Masken. Und im Hinblick auf diese „Freizone“ wollte ich wissen, weil sie etwas sehr Persönliches, sehr Wertvolles, sogar sehr Verletzliches ist: Warum haben Sie sich dafür entschieden, sie zu teilen?

NATHALIE

Aber zunächst ist diese Freizone nicht immer wirklich frei oder erstaunlich oder fantastisch. Das frei bedeutet auch, dass ich sehe: „Oh! Ich habe viel Angst oder bin besorgt, dies so umzusetzen“, und ich entscheide mich trotzdem dafür, weil es so irgendwo in der Gesellschaft erlaubt sein muss, solange es nicht jemandem anderen wehtut. Natürlich kann Kunst die Gefühle von anderen verletzen oder so, aber sie stellt keine definitive Handlung gegen jemanden dar.

OK, aber jetzt das „Warum“. Warum es teilen? Warum nicht? Darauf gibt es verschiedene Antworten. Die beste davon ist, dass ja jemand davon profitiert zu sehen, was wir tun und eine Reaktion darauf verspürt. Die ideale Reaktion bestünde darin, wenn jemand denkt „Oh! Das ist großartig! Es hat etwas mit mir gemacht“. Dann ist da Freude und du fühlst „Wow“ und darin liegt auch ein Teilen. Das Teilen ist fantastisch. Es ist fantastisch, etwas mit jemandem anderen zu teilen. Wir haben etwas geschaffen und jemand wird davon berührt. Das Werk verringert die Distanz zwischen dir und diesem Jemand. Also deswegen. Und auch wenn jemand keine positive Reaktion verspürte, kann das für die Person wichtig sein. Du kannst nicht sagen, was für eine andere Person gut wäre. Vielleicht profitiert diese Person ja davon, dass sie das Kunstwerk eigentlich nicht mag. Und wenn die Arbeit überhaupt keine Reaktion hervorruft, dann sollte sich die Person etwas anderes ansehen, da es offenbar nicht das Richtige für ihn oder sie darstellt.

HANS

Nein, aber es stimmt – du könntest dich hinsetzen und Kunst produzieren und zu Hause Musik machen und es einfach niemandem zeigen, aber das Teilen ist eben ein wichtiger Aspekt. Du willst dich mit den Menschen verbinden. Es gibt da auch einen sozialen Gesichtspunkt.

THOMAS

Aber ist das nicht missionarisch?

NATHALIE

Nein, das glaube ich nicht, nein.

HANS

Nein, weil es dabei so viel um den inneren Prozess des Schaffens geht.

NATHALIE

Missionarisch heißt, dass ich etwas Wichtiges zu sagen habe, das ich dir vermitteln kann, dass ich mehr weiß als du, dass meine Weltsicht besser ist, und das ist wirklich nicht der Fall. Vom Gefühl her will ich anderen nichts beibringen, und meistens habe ich auch den Eindruck, dass ich weniger als andere weiß. Es geht nur um das Zeigen. Da ist etwas, das ich sehe oder das ich mich zu sehen bemühe und in mir drückt sich dieser Prozess als Kreativität aus. Für jemanden anderen kann dies gewinnbringend sein oder auch nicht.

Aber ich habe sehr wohl das Gefühl, dass Hans mir etwas beibringt – dass mich seine Musik mehr verstehen lässt. Wie kann ich das erklären? Naja, Sie haben das Gespräch jetzt wirklich dahin gebracht, wo ich mit der neuen Animation hinwollte, „Worship“ (Verehrung, Kult). Als er die Musik dafür fertig hatte und wir darüber sprachen, wie körperlich die Musik sei. Also du schaust dir etwas an, das körperlich aussieht, aber das ist es tatsächlich nicht, und es geht vorbei. Aber die Musik betrifft dich wirklich in deinem Körper und lässt das Beobachten dieses Prozesses physisch werden. Dabei war aber seine Intention nicht missionarisch, es war einfach wichtig, das er tat, was er als wichtig empfand.

THOMAS

Die Zeitraffer-Technik für die Animationen, der Ton als Material der Puppen und die Inszenierung könnten Anspielungen auf ein Puppentheater sein. Es wirkt irgendwie wie für Kinder geschaffen. Der Kontrast zwischen Form und Inhalt könnte manchmal nicht größer sein. Ist dies eine bewusste Strategie und Zielsetzung, um die Wirkung zu maximieren? Oder einfach eine sehr persönliche Betrachtungsweise?

NATHALIE

Nein, es handelt sich dabei um keine Strategie. Zeitraffer und die Arbeit mit Puppen sind die Medien, die am besten funktionierten, aber natürlich gibt es da jenen Kontrast zwischen dem, was zu sein scheint, und dem Inhalt. Für mich war es einfach die problemloseste Art und Weise, unsere Ideen umzusetzen. Ich glaube, wenn ich dasselbe in der Malerei oder durch die Arbeit mit SchauspielerInnen finden würde, ginge ich eben jenen Weg. Aber das klappt eben für mich nicht, weil ich die Arbeit wirklich in meiner Nähe halten muss, damit sie mich interessiert.

HANS

Zunächst scheint die Wirkung eher kindlich zu sein, aber dann bist du über das Thema überrascht.

NATHALIE

Die Entdeckung jenes Zeitrafferprozesses – wie er mich in die Lage versetzte zu tun, was ich wollte, und auf die direkteste Art – machte ihn für mich wirklich sehr interessant.

THOMAS

Ungefähr zur Zeit der Produktion oder auch vor „The Black Pot“ (Der schwarze Topf) entschieden Sie sich dafür, von diesen figurativen Charakteren und dem Handlungsverlauf abzugehen. Können Sie diese fast radikale Entwicklung in Ihrer Arbeit erklären?

NATHALIE

Nein, das kann ich nicht. Ich hatte einfach nur wirklich genug davon. Nachdem ich eine Animation erarbeitet und Hans die Musik dazu produziert hatte, fühlte ich mich, als hätte ich nicht mehr viel zu sagen. Ich interessierte mich nicht dafür, eine Geschichte noch einmal zu erzählen. Sie fühlte sich wirklich beendet an. Aber dann gab es da ein Interesse an etwas anderem. Wir hatten immer mehr über Musik gesprochen und was das war, und ich begann, mich sehr für Abstraktion zu interessieren.

HANS

Um diese Zeit, als die Animationen abstrakter wurden, mehr nach innen blickten, spielte auch die Musik plötzlich eine viel wichtigere Rolle. Ich wendete mich mehr meiner eigenen Art zu, Musik zu machen, weil ich auch Techno-Musik produziere, also nutzte ich jene Seite mehr. Die Musik wurde wichtiger bei den Animationen und beide Kunstformen spielten sich auf derselben Ebene ab. Das war auch eine große Veränderung in der Arbeit.

NATHALIE

Aber dann nach einigen Jahren, weil was du zeigst, ist in der Zeit ein wenig hinterher ‒ was dir auch das Gefühl gibt, dass du nie neue Arbeit präsentierst, weil du schon mit etwas anderem beschäftigt bist ‒ kam das Interesse bei mir einfach zurück, es fühlte sich freier an. Ich konnte dasselbe noch einmal machen, tatsächlich was immer ich wollte. Wenn es irgendwo möglich sein sollte, zu machen, was du willst, dann sollte das in der Kunst sein. So sind also die neuen Animationen für mich ein wenig abstrakter und müssen keiner bestimmten Geschichte folgen oder so.

THOMAS

Im Hinblick auf diesen Gedankengang oder diese Art zu denken finde ich bei „Worship“ vor allem den Aspekt der Sexualität interessant; sie ist auf eine Weise explizit. So explizit die Handlungen sind oder erscheinen mögen, sie bleiben aber impliziert. Die Charaktere tun nur so als ob.

HANS

Alles wird in dem Film nur impliziert. Ich meine, der Film ist nicht wirklich selbst explizit. Es passiert nicht allzu viel Explizites. Alles findet im Geist des Betrachtenden statt, was ich als sehr interessant empfinde. Der Film ist so offen und lässt alles offen. Es geht nur um die Anspielungen. Starke Anspielungen. Aber trotzdem, es ist auch nicht sehr offenkundig.

NATHALIE

Ja. Naja, es liegt schon ziemlich auf der Hand. Nicht nötig, das noch expliziter zu machen. Vielleicht wäre ich noch weiter gegangen, weil manchmal denke ich natürlich auch, „Wie weit kann ich gehen?“, „Wie weit sollte ich gehen?“, „Wie weit möchte ich gehen?“ Meistens spielt bei den Gedanken „Das ist nicht erlaubt“ oder, „Ich sollte das nicht tun“, oder „Wie wird dies wohl wahrgenommen?“ der Freiheitsaspekt eine Rolle und ich weiß dann, dass ich es so umsetzen muss, weil ich mich eben selbst zensuriere, bevor ich es überhaupt ausgeführt habe. Bei dieser Animation habe ich mich überhaupt nicht zensuriert. Ich habe überhaupt nichts nicht umgesetzt, was ich tun wollte. Weil es dabei nicht wirklich um … es geht nicht um Geschlechtsverkehr. Es geht einfach darum, an der Oberfläche des Begehrens zu kratzen und dann wirklich tief zu gehen. Ich habe dafür keine Worte. Aber ich bin auch glücklich, weil ich den Film gemacht habe. Für mich ist es in Ordnung, nicht wirklich sagen zu können, was es ist.

THOMAS

Geht es dabei um einen Fluchtplan? Das Vorgeben, Nicht-wirklich-zeigen, was du siehst und es offen lassen?

NATHALIE

Es ist keine Flucht. Wenn du wirklich alles siehst, bist du befreit und du hast dann den Abschluss. Genau das passiert bei einem Porno. Du siehst dir den Porno an, aber es geht nur um den Endpunkt. Hier geht es darum zu sehen, dass es noch etwas anderes als diesen Endpunkt gibt.

HANS

Es geht dabei mehr um das Streben oder die Sehnsucht.

NATHALIE

Da die Kunst angeblich frei ist, hat jeder, der sie sieht, dafür eine Interpretation, und diese Interpretation stimmt auch. Sie ist nicht falsch. Wenn also jemand meint, „Okay, hier geht es nur um den Abschluss“, „Hier geht es nur darum, zu diesem Ende zu kommen“, dann okay, für jene Person geht es eben genau darum. Wenn ich also sage, was die Arbeit für mich bedeutet, ist sie eben genau dies für mich, und ich kann überhaupt nicht sagen, welche Bedeutung sie für jemanden anderen hat … aber jetzt bin ich irgendwie aus dem Konzept geraten.

THOMAS

Der Gedanke ist perfekt, um das Interview abzuschließen. Vielen Dank euch beiden für das Gespräch.

 

 

Ausstellungsansicht Worship 2016

Courtesy the artists /Gio Marconi, Lisson Gallery und Hans Jörg Kapeller
Waterfall Variation (Overtones)
Worship, 2016 Filmstill
Ausstellungsansicht, 2016
Worship, 2016 filmstill
The Winner, 2015 Filmstill

Nathalie Djurberg & Hans Berg

Worhip
Nathalie Djurberg & Hans Berg
Worship

Herausgeber Kunstraum Dornbirn, Thomas Häusle
Text John Peter Nilsson, Interview Thomas Häusle
zahlreiche Abbildungen und Ausstellungsansichten
Softcover, 138 Seiten
Verlag für Moderne Kunst, 2016
ISBN 978-3-90313-153-8