Gottfried Bechtold

Gottfried Bechtolds Installation „Mitten durchs Herz“ ist überraschend und vielschichtig. Themen wie Religion und Physik prallen aufeinander, organische und anorganische Materialien durchdringen sich, einander widerstrebende Kräfte vermessen den Raum. Mit der speziell für den Kunstraum Dornbirn, einer ehemaligen Montagehalle, gestalteten Arbeit setzt sich der international renommierte Vorarlberger Künstler radikal forschend mit Technik, Mythos, Tod und der Überwindung der Schwerkraft auseinander.

Der 1947 in Bregenz geborene Gottfried Bechtold absolvierte zunächst eine Steinmetzausbildung in Hallein. Danach folgten längere Aufenthalte in Großbritannien, den USA und Kanada. Auch sein Vater war Steinmetz und sein Großonkel Albert Bechtold setzte mit seinen kubistisch-abstrahierten Skulpturen in der Kunst der Zwischenkriegszeit in Österreich wesentliche nonkonformistische Akzente. In seiner aktuellen Installation im Kunstraum Dornbirn kombiniert Gottfried Bechtold in gezielter Bündelung gegensätzliche Objekte und schafft so eine Koinzidenz zwischen Unbeweisbarem und Beweisbarem.

„Im Prinzip bin ich ein Naturalist“, sagt Gottfried Bechtold provokant, „ein Naturalist unter Anführungszeichen. Ich nehme für meine Arbeit was da ist, Autos, geometrische Formen, einen Baum oder eine fremde Skulptur und spiele diese Formen dann radikal durch. Meine Arbeitsmethode ist es, der Welt nichts Neues hinzuzufügen, sondern die Dinge, die uns umgeben, genau anzusehen und den Kontext zu verändern.“

Gottfried Bechtolds Arbeiten waren in zahlreichen Ausstellungen vertreten, etwa 1972 auf der documenta in Kassel. Im Oktober eröffnet das Lentos Kunstmuseum Linz eine große Retrospektive seines umfassenden und vielseitigen Werks, das mit vielen Preisen gewürdigt wurde. Nach Gastprofessuren im In- und Ausland arbeitet der Künstler in Hörbranz und Bregenz experimentell an der Erweiterung des Kunstbegriffs, wobei ihn physikalische Phänomene, der Transfer der Realität in Medien, der Mythos Auto und die Idee von Zeit und Bewegung besonders interessieren.

Dr. Ingrid Adamer, Kuratorin

Das LENTOS Kunstmuseum Linz widmet Gottfried Bechtold von 21. Oktober 2016 bis 26. Februar 2017 eine umfangreiche Retrospektive.

www.lentos.at

 

 

Gottfried Bechtold

Biografie

Gottfried Bechtold wurde 1947 in Bregenz, Österreich, geboren. Auf eine Steinmetzausbildung in Hallein folgten längere Aufenthalte in Großbritannien, den USA und Kanada, u.a. 1973 bis 1974 als „Visiting Artist“ am Nova Scotia College of Art and Design in Halifax, Kanada. In dieser Zeit arbeitete Bechtold mit dem Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick an der Stanford University zusammen. 1999 erhielt er den internationalen Kunstpreis des Landes Vorarlberg. 2009 wurde er mit dem Würdigungspreis für Video- und Medienkunst des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur ausgezeichnet. Nach Gastprofessuren im In- und Ausland (Cornell University, Ithaca/USA; Karl-Franzens-Universität, Graz; TU-Innsbruck) lebt und arbeitet er heute in Hörbranz, Vorarlberg, Österreich.

Von der Bildhauerei ausgehend, begann Bechtold, beeinflusst durch Post-Minimal-, Land- und Concept-Art, in den späten 1960er Jahren mit unterschiedlichsten Medien wie Fotografie, Film und Video zu arbeiten, wobei deren Qualitäten als Kommunikationssysteme im Mittelpunkt seiner Analysen standen. Waren seine Filme u. a. noch von der Übersetzung des Zeichensystems Sprache in jenes des Films bestimmt, so beschäftigte er sich in seinen Videos zwischen 1970 und 1973 mit der Überprüfung einer bestimmten, durch das neue Medium Video vermittelten Realität. Den forschenden und experimentellen Charakter seiner Arbeiten, die oft Versuchsanordnungen glichen, behielt er auch bei seiner „Video-Installation“ (1972) und der auf der Documenta 5 in Kassel, 1972, realisierten Arbeit „100 Tage Anwesenheit in Kassel“ bei. Neben diesen stark konzeptuell geprägten Ansätzen beschäftigte sich Gottfried Bechtold immer wieder mit der Erweiterung des klassischen Skulpturbegriffs. Sein „Beton Porsche“ (1971 und 2001 TU-Innsbruck), ein elffacher Abguss seines eigenen Automobils, 11/11 2006, scheint zwar durch alle traditionellen Determinanten wie Masse, Gewicht, Gravitation und Form bestimmt, unterscheidet sich aber durch die Wahl des ungewöhnlichen Materials wie des Sujets. In Installationen für den öffentlichen Raum, die er nach intensiver Beschäftigung mit ortsspezifischen Gegebenheiten entwickelte, traten dazu die Faktoren Zeit und Raum oder das immaterielle Medium Licht. Die „Interkontinentale Skulptur“ (1986) für das Vienna International Center etwa besteht aus Monolithen aus fünf Kontinenten, die durch einen sich im Tagesablauf verändernden Laserstrahl verbunden sind. (Claudia Slanar)

Gottfried Bechtold im Gespräch mit Ingrid Adamer, Kuratorin der Ausstellung

Meine Arbeitsmethode ist es, der Welt nichts prinzipiell Neues hinzuzufügen

 

 Ingrid Adamer:

Die Installation, die Sie für den Kunstraum Dornbirn, eine ehemalige Montagehalle, konzipiert haben, wirkt auf den ersten Blick überraschend, scheint sie doch untypisch für ihr Schaffen zu sein. Religiöse Themen und anthropomorphe Formen finden sich darin bislang nicht. Die Arbeit ist vielschichtig und eine punktgenaue Geste „mitten durchs Herz“. Theologie und Physik prallen aufeinander, organische und anorganische Materialien durchdringen sich. Im Zentrum steht eine Pietà auf einem Granitsockel erhöht, eine skulpturale Darstellung von Maria als Schmerzensmutter mit dem Leichnam ihres vom Kreuz abgenommenen Sohnes Jesus Christus, auf die ich zunächst zu sprechen kommen möchte. Was hat es mit dieser Skulptur, die Sie ja nicht selbst geschaffen haben, auf sich? Wie sind Sie auf sie gestoßen?

 Gottfried Bechtold:

Die Figur stammt von einem unbekannten Künstler, der sie in Anlehnung an eine Skulptur meines Großonkels Albert Bechtold meißelte. Das war vor zirka fünfzig bis sechzig Jahren, wahrscheinlich in Italien. Mit dieser Figur war ich für den Großteil meiner Lebenszeit immer wieder konfrontiert. Sie stand im Haus meiner Eltern in Bregenz, und seit ich in diesem Haus arbeite, das sind jetzt fünf bis sechs Jahre, sehe ich diese Figur täglich. Sie hat täglich auf mich eingewirkt, und sie wurde zum Katalysator, blieb stets unverändert und stumm, verursachte bei mir aber Reaktionen, positiver und negativer Natur. Dreidimensionale Dinge wirken sehr stark auf mich.

Ingrid Adamer:

Was hat Sie dazu bewogen, diese Skulptur zum Herzstück Ihrer Installation zu machen?

 Gottfried Bechtold:

Wenn ich am Weg zur Schule war, bin ich am Morgen, zu Mittag und am Abend an dieser Figur vorbeigegangen. Im Religionsunterricht wurde über die unbefleckte Empfängnis, die Pietà und alle diese Dinge gesprochen und wenn ich dann daran vorbeiging, dachte ich immer, ja, du hast dies und das gemacht. Innerhalb dieser fünfzig Jahre zeigten meine Empfindungen die verschiedensten Facetten, manchmal wollte ich sie auch zerschlagen.

Ingrid Adamer:

Wie Sie bereits angesprochen haben, handelt es sich bei der Pietà um die Nachbildung einer kleineren Skulptur, die Ihr Großonkel Albert Bechtold in den Jahren 1926/27 geschaffen hat. Albert Bechtold setzte mit seinen radikalen, kubistisch-abstrahierten Skulpturen und Denkmalentwürfen in der Kunst der Zwischenkriegszeit in Österreich wesentliche nonkonformistische Akzente. Inwiefern hat Ihr Großonkel Sie und Ihr Schaffen beeinflusst?

Gottfried Bechtold:

Ich will jetzt nicht sagen, dass das ein Anstoß war, mich der Kunst zuzuwenden. Aber ich hatte eine maßlose Bewunderung für den „Onkel Albert“. Seine fortschrittlichen Arbeiten zu dieser Zeit waren für mich prägend. Wotruba kam mir im Vergleich dazu eher unbedeutend vor – ich war zu diesem Zeitpunkt ja erst vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Die Begegnungen mit ihm waren immer sehr beeindruckend, er war ja zu dieser Zeit schon sehr alt und im Rollstuhl. Ich hätte ihn gerne länger gekannt.

Ingrid Adamer:

Wird mit dieser Installation ein Stück Familiengeschichte weitergeschrieben?

 Gottfried Bechtold:

Ich war ja nie ein richtiger Familienmensch, kein familienbewusster Traditionsmensch. Ich habe mich lange Zeit mit meinem Vater nicht gut verstanden. Wir haben uns zwar schon rechtzeitig versöhnt, aber mit dem Onkel Albert war das eine Ausnahme. Er war wie ein leuchtendes Bild, und natürlich hat mich seine Lebensgeschichte sehr betroffen gemacht. In den letzten zehn Jahren ist mir die Familie bewusster geworden, die Beziehung Mann-Frau, die Geburt der Kinder, die Beziehung Mutter-Sohn. Die Pietà, das ist eine eindrucksvolle Angelegenheit, besonders in der heutigen Zeit.

Ingrid Adamer:

Auffallend ist die ungewöhnliche Form der Pietà, der Leichnam liegt nicht im Schoß der sitzenden Maria, vielmehr ist sie stehend wiedergegeben und hält den toten Christus vor sich, stark und aufrecht, trotz ihrer Trauer. Die beiden abstrahierten Figuren verschmelzen zu einer senkrechten, nach oben strebenden und verdichteten, säulenartigen Form. War es das Moment des Tragens – das Gerade-noch-ertragen-Können –, das Sie dazu inspirierte, die Marmorskulptur zum Readymade und „Schienen-Träger“ werden zu lassen?

Gottfried Bechtold:

Die Installation hat sich eigentlich selbst generiert. Es ist im Grunde eine Figur, die sich selbst entwickelt hat. Was mich immer beeindruckt hat, war die senkrechte Form der Pietà. Es ist eine starke Figur. Ich hatte einmal ein Saturn-V-Modell einer Weltraumrakete, das ich automatisch in unmittelbarer Nähe zur Figur der Pietà aufstellte. Die beiden aufgerichteten Formen ergänzten sich perfekt in meiner Anschauung. Für mich war die Konzeption eine fast blasphemische Darstellung der Pietà, aber sie ist stark, und in Kombination mit der Gesamtanlage hat sie sich letztlich selbst erzeugt. Die Schiene muss von jemandem getragen werden. In der Vorbereitung der Ausstellung habe ich die Halle öfters meditativ betrachtet, und da sind mir die zahlreichen alten Eisenträger aufgefallen. Der Träger ist natürlich ein sehr nutzbringendes Produkt, und man findet ihn in der Halle sicher zwanzig Mal. Ich nehme grundsätzlich gerne alte, bestehende Dinge und Formen auf, ich erfinde nichts, sondern weise eher mit dem Finger darauf. Ich möchte mich so weit als möglich zurücknehmen und im Prinzip die Geste als Hauptaxiom in der Arbeit betrachten.

Ingrid Adamer:

Bei näherer Betrachtung erscheint die Installation also doch nicht so ungewöhnlich im Kontext Ihres Werkes. Man denke an andere paradoxe Kombinationen, wie die Signatur an der Silvretta-Staumauer, die Sie ja nicht selbst errichtet haben. Auch kruder Stein kam öfter schon zum Einsatz, und die Auseinandersetzung mit dem Sockel war immer wieder ein Thema in Ihren Arbeiten. Zudem knüpfen Sie an eine Werkserie an, die ihren Anfang in den frühen 1970er-Jahren hatte: Auf die „Schiene Kofler“ folgte zwanzig Jahre später die „Schiene Mader“, die in Japan steht, und jetzt die „Schiene Flatz“ im Kunstraum Dornbirn. Diese Schienen loten die Grenze der Tragfähigkeit aus, sie tragen sich gerade noch selbst, sind selbstbezüglich.

 Gottfried Bechtold:

Die Schiene ist in meiner Arbeit seit den 1970er-Jahren ein zentrales Motiv. Die Schiene trägt aber nur sich selbst, sie wird getragen. Sie hat also zwei Gesichter. Wenn sie länger wäre, würde sie ausknicken und wenn sie kürzer wäre, könnte man darauf balancieren. Dieser Endpunkt interessiert mich, dass es finite Teile sind und man nichts mehr machen kann. „Die Kunst besteht im Weglassen“, lautet ein Sprichwort. Der Widerstand des Stahls, die Festigkeit des Materials wird bei dieser Installation evident. Diese Komponenten haben mich natürlich auch bei der „Schiene Kofler“ und der „Schiene Mader“ interessiert. Im Vorfeld dieser Arbeiten existiert übrigens noch das Projekt einer fünfzig Meter langen Schiene an einer Autobahnraststätte.

Ingrid Adamer:

Stellt sich für Sie nicht die Frage, ob man das eigentlich „darf“, sich eine Skulptur aneignen, sie durchbohren und damit zerstören oder zumindest beschädigen, um eine neue Arbeit zu schaffen?

Gottfried Bechtold:

Die Verwendung der Pietà im Kunstraum Dornbirn ist etwas heikel, weil es die Skulptur eines Verwandten ist, wobei ich keine Scheu hatte, sie zu durchbohren. Ich habe vor einigen Jahren in Spitz an der Donau eine spätbarocke Minerva-Figur mit dreieinhalb Meter Höhe für ein Projekt verwendet und diese fast geschändet, indem ich ihr den Kopf abgeschnitten und ihn in einem anderen Winkel wieder angebracht habe, damit sie auf einen bestimmten Punkt blickt. Das war nicht erlaubt, ich habe es in einer Nacht- und Nebelaktion gemacht, den Kopf mit goldenen Augen versehen und ein goldenes Buch angebracht. Der Blick der Figur geht nach unten auf eine Wiese, zu einem bestimmten Punkt, wo sich ein Bronzespitz erhebt. Ich habe die Figur ohne Scheu verwendet, sie war beschädigt vom Wetter und künstlerisch auch nicht besonders gut. Bei der Planung dieser Installation im Kunstraum Dornbirn führte ich im Geist mehrere Zwiegespräche mit Onkel Albert. Ich habe ihn gefragt, ob ich die Skulptur durchbohren darf, und ihm erklärt, was ich damit ausdrücken will. Schlussendlich war er sehr zufrieden und meinte, die Figur lebt durch diesen Eingriff weiter.

Ingrid Adamer:

Der Durchstich war technisch eine große Herausforderung. Hätte die „Operation“ auch fatal ausgehen können?

Gottfried Bechtold:

Es war hochkonzentrierte Arbeit, einen ganzen Tag lang. Mit Kernbohrern wurden Teilmantelbohrungen gemacht. Der Bohrer kann sich verkeilen und in der Folge könnte es passieren, dass die Figur gesprengt wird. Aber es hat Gott sei Dank funktioniert. Mich interessiert immer auch das Handwerkliche sehr, ich bin neugierig und arbeite sehr gern mit verschiedenen Materialien.

Ingrid Adamer:

Ich möchte noch auf Ihre Beziehung zur Religion eingehen. In einem früheren Gespräch haben Sie den christlichen Glauben und andere Religionen als Trost spendende Märchen bezeichnet, die von der Überwindung des Todes erzählen. Und andererseits davon gesprochen, dass Ihnen mit zunehmendem Alter die Begrenzung der Zeit immer bewusster wird. Inwiefern spielen diese Überlegungen in der Installation eine Rolle?

Gottfried Bechtold:

Ich habe die Vermutung, dass diese Überlegungen mit der Existenz des Todes zu tun haben. Man hat immer etwas geschaffen, das transzendent war. Alle Religionen sind miteinander kryptisch verwandt. Ich habe die Idee, dass Religionen Erfindungen oder Märchen sind, die das Leben regulieren und den Tod erleichtern können. Es sind natürlich Erfindungen von uns Menschen, denn irgendetwas Transzendentales braucht jeder. Der Kapitalismus ist auch in gewisser Weise eine Form von Religion, da ist das Geld der Gott, oder die Macht, die vom Geld ausgeht. Ich habe es gern, an etwas zu glauben, wovon wir nicht wissen, was es ist. Es ist wichtig, spirituell denken zu können, und das erlaube ich mir auch. Diese Überlegungen haben aber nichts mit der tatsächlichen realen Kirche zu tun. Religionen haben leider auch die Tendenz, sich absolutistisch und brutal zu zeigen, ein aktuelles Beispiel dafür sind islamistische Strömungen. Religion ist eine wunderbare Angelegenheit, solange es eine laizistische Bewegung bleibt, die in den eigenen vier Wänden ausgeübt wird. Schwierig wird es für mich, wenn sich die Juden als das auserwählte Volk fühlen, und ebenso schwierig war es, als die Christen Kreuzzüge führten. Besser wurde es dann mit Martin Luther, der sagte, dass der Papst nicht der Regierungschef sei. Letztendlich sind aber sämtliche Götter von den Menschen erfunden worden. Religion sollte Privatsache bleiben und nicht öffentlich wirksam sein. Spirituell denken zu können ist aber wichtig. Die katholische Kirche hat mich in der Jugend sehr geprägt, wir haben mit unserem Vater viele gotische Dome und frühchristliche Mosaiken besucht. Das war eine tolle Sache und hat mich als Kind sehr beeindruckt.

Ingrid Adamer:

In dieser Installation prallen verschiedene, ja diametrale Dinge aufeinander. Einerseits der christliche Glaube, andererseits die empirische Berechenbarkeit einer Schiene sowie verschiedenste Materialien. Eigentlich ist das Werk ein Paradoxon.

Gottfried Bechtold:

Solch paradoxe Kombinationen sind typisch in meiner Arbeit. In Bezug auf Religionen interessieren mich natürlich Jesus und Maria, aber im Grunde genommen wie ein bestimmtes Material. Das trifft auch auf die Dreifaltigkeit zu. In der Installation im Kunstraum Dornbirn sind es zudem das Baumaterial und der Marmor. Figur und Schiene sind untrennbar miteinander verbunden, Maria trägt nicht nur Jesus, sondern auch die Schiene. Jesus und Maria sind durch den Durchstich untrennbar miteinander verbunden. Im Gegensatz zu den früheren Schienen, die inhaltlich wesentlich kühler waren, hätte ich mir vor fünfzig Jahren niemals erlaubt, anthropomorphe Skulpturen zu verarbeiten. Ich habe auch erst mit fünfundsechzig Jahren begonnen Aktzeichnungen zu machen. Physik spielt auch eine große Rolle in der Transzendenz, andererseits spielt der Glaube in der Technik eine große Rolle. Bei der Konstruktion der Golden Gate Bridge muss der Chefstatiker auch ein sehr gläubiger Mensch gewesen sein, er wird zwar alles genau statisch berechnet haben, aber es bleibt dann doch ein unbestimmtes, transzendentes Element. So wie bei der Mondladung, da reicht das technische Wissen allein nicht, da braucht es einen Glauben, der enorm ist. Sie könnten alle Kardinäle werden, von der Glaubensqualität her. Insofern sind die wissenschaftlichen und religiösen Phänomene und Dimensionen ineinander verschränkt. Ich versuche die Bereiche zu erweitern, das bedeutet aber gleichzeitig auch eine Verlangsamung der Zeit. So ist es möglich dem Betrachter gänzliche andere Erfahrungsebenen zu bieten, weit ab vom iPhone.

Ingrid Adamer:

Eine Pietà als Readymade zu verwenden und ihr mitten durchs Herz zu bohren, könnte ja auch als „brutaler“ Akt missverstanden werden. Als religiöse Verletzung? Religiöse Themen halten die Menschheit ja gegenwärtig in Atem. Glauben Sie, dass die Installation für Diskussionen sorgen wird?

Gottfried Bechtold:

Das war schon auch ein bisschen mein Motiv. Die Fragen nach Religion und Laizismus sind virulent. Ich habe mich für das Christentum und auch für den Koran interessiert und ihn gelesen. Ich glaube, das Ganze ist eine solide Konstruktion und nicht als Provokation geeignet. Zumindest ist es keine Intention meinerseits zu provozieren. An der Oberfläche könnte es natürlich provozieren. Meine Erfahrung ist, dass sehr gläubige Katholiken und Vertreter der Kirche sich kaum mit Kunst befassen, ich denke nicht, dass es Aufregung gibt. Die Idee des Herzstichs kam mir spontan, die ganzen Ingredienzien dieser Installation waren schon lange präsent, es hat bereits lange in mir gegart. Die Halle mit ihren zahlreichen alten Trägern war mir sehr präsent. Ursprünglich wollte ich einen sehr großen Würfel in die Halle stellen und diesem luftigen Raum eine enorme Masse entgegensetzen. Aber dann wollte ich doch site-specific bleiben, die Pietà einbauen und sie zum Leben erwecken. Die Schienenlänge von knapp fünfzehn Meter hat sich aus der Dimensionierung der Halle ergeben. Die Schiene bildet ein Kreuzmotiv und die Skulptur steht in der Raummitte. Der Durchbruch ist sehr wohl proportioniert, wenn man es als Herzoperation betrachten möchte, könnte man diese als ästhetisch gelungen bezeichnen.

Ingrid Adamer:

Ich möchte noch auf die Zahl Drei zu sprechen kommen, die im Christentum eine zentrale Rolle spielt. In Ihrem Werk ist sie auch wichtig, ich denke an die drei Betonporsche, die drei Signaturen, die drei Schienen, die „Schiene Kofler“, die „Schiene Mader“ und jetzt die „Schiene Flatz“, und auch an die drei Bestandteile der Installation: Granit, Marmor und Stahl.

Gottfried Bechtold:

Die Dreiheit wird von mir nicht immer angepeilt, es gibt auch Arbeiten mit zwei oder zehn Teilen. Aber die Trinität spielt schon eine Rolle in meinem Werk. Es gibt etwa unterirdische Skulpturen, die durch drei Öffnungen miteinander verbunden sind. Die Dreifaltigkeit oder der Topos Anna Selbdritt haben mich natürlich sehr beeinflusst. So ist die dritte Schiene, also die Installation für den Kunstraum Dornbirn, entstanden, und hier haben mich auch die drei verschiedenen Materialien beschäftigt. Der massive Sockel und die zierliche Figur haben mich übrigens manchmal an Giacometti erinnert.

 Ingrid Adamer:

Lieber Gottfried Bechtold, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Mitten durchs Herz, Kunstraum Dornbirn 2016, Detail, Foto Hans Jörg Kapeller

Gottfried Bechtold "Mitten durchs Herz"

Gottfried Bechtold im Gespräch mit Ingrid Adamer, Kuratorin der Ausstellung

Vermittlung

Kunstheft Gottfried Bechtold "Mitten durchs Herz"
Gottfried Bechtold

Vermittlungsheft für Kinder, Schüler, Jugendliche und Erwachsene
Gesamtkonzept und Text: Martin Oswald, Pädagogische Hochschule Weingarten
Herausgeber Kunstraum Dornbirn

Gottfried Bechtold

Mitten durchs Herz
Gottfried Bechtold

Katalog zur Ausstellung mit einem Interview von Ingrid Adamer, einem Text von Sylvia Taraba und zahlreichen Abbildungen.
Herausgeber Kunstraum Dornbirn
Deutsch/ Englisch, 185 Seiten,
Verlag für Moderne Kunst
erscheint Ende Oktober
ISBN 978-3903131712